Über Jahrzehnte hinweg sollen in Spanien bis zu 300.000 Babys nach der Geburt für tot erklärt und ihren Müttern geraubt worden sein. Vor einem Gericht in Madrid geht gerade der erste Prozess zu einem der Baby-Raub zu Ende.
Die Story klingt wie aus einem Hollywoodfilm, ist aber wahr. Jahrelang wurden in spanischen Krankenhäusern Frauen ihre Neugeborenen weggenommen und verkauft. Es soll um bis zu 300.000 Babys in fünf Jahrzehnten gehen – und um mafiöse Verbindungen zwischen Anwälten, Ärzten und Geistlichen, die ein Geschäft mit dem Kinderhandel gemacht haben.
Baby wurde für tot erklärt
In den meisten Fällen soll es so gelaufen sein, dass Arzt oder Hebamme direkt nach der Geburt die Babys mit aus dem Zimmer genommen haben. Sie sollen dann zurückgekommen sein und der Mutter des Kindes erklärt haben: "Es tut uns leid, aber ihr Kind ist tot. Es hat die Geburt nicht überlebt."
"Reporter haben in den 80er Jahren aufgedeckt, dass Krankenhäuser tote Babys in Kühlschränken aufbewahrt haben, um sie dann den Müttern zu zeigen."
Der ARD-Korrespondent Oliver Neuroth berichtet, dass es in manchen Fällen sogar so gelaufen sein soll, dass die Krankenschwestern, Hebammen oder Ärzte den Müttern ein totes Baby gezeigt haben - sozusagen als Beweis. "Und Reporter haben in den 80er Jahren aufgedeckt, dass Krankenhäuser tote Babys in Kühlschränken aufbewahrt haben, um sie dann den Müttern zu zeigen - also sehr gruselig, wie das offenbar lief", sagt Oliver Neuroth.
Opfer von Babyraub waren vor allem Regimegegner
Die ersten bekannten Fälle von Babyraub werden in den 40er und 50er Jahren datiert. Damals war in Spanien der Diktator Francisco Franco an der Macht. Es gibt Berichte, dass vor allem Babys von Regimegegnern geraubt und für tot erklärt worden seien. Die Kinder sollen dann an regimetreue Paare gegangen seien. Andere Kinder wurden in Heimen großgezogen.
Hauptangeklagter in dem laufenden Prozess ist der Frauenarzt Eduardo Vela. Er soll in einer Klinik in Madrid in mehreren Tausenden Fällen für den Babyhandel verantwortlich gewesen sein. Im Gerichtssaal behauptet der heute 85-Jährige, von alledem nichts zu wissen.
Oliver Neuroth berichtet, dass es ein Netzwerk gegeben haben soll – aus Ärzten, Anwälten, Notaren und Kirchenvertretern. Damals war es üblich, dass Nonnen in Krankenhäusern gearbeitet haben. Das Netzwerk soll es auch nach dem Ende der Diktatur geschafft haben, noch rund 20 Jahre lang unerkannt weiterzumachen. Viele Spanier stellen deswegen die Frage: Wie konnte das möglich sein, dass niemand etwas mitbekommen hat?
"Es gab offensichtlich ein gut funktionierendes Netzwerk, das dicht gehalten hat - aus Ärzten, Anwälten, Notaren und auch aus Kirchenvertretern."
Oliver Neuroth hat mit einem Mann gesprochen, der Anfang der 80er Jahre ein Kind gekauft hat. Der Mann berichtet, dass er anschließend bedroht wurde. Die Kinderhändler erpressten ihn, Geld zu bezahlen und nichts über die Herkunft des Kindes auszuplaudern. Ihm wurde gedroht: Wenn er etwas sagen sollte, würden ihn die anderen als "Kindskäufer" outen, ihnen hingegen sei überhaupt nichts nachzuweisen.
Bisher hat es nur ein einziger Fall vor Gericht geschafft. Die Anwälte, die die Mütter und Väter der geraubten Babys vertreten, hoffen jetzt jedoch, dass weitere Opfer vor Gericht ziehen und den Mut aufbringen, dort ihre Geschichte zu erzählen.
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