Theologen zweifeln: Adam und Eva waren nicht zwingend Mann und Frau
"Gott schuf den Menschen als Mann und Frau", so steht es in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Solche Bibelzitate werden oft herangezogen, um die Zweigeschlechtlichkeit bis heute zu begründen. Und das ist falsch, sagt der Theologe Stefan Schorch.
Stefan Schorch, Professor für Bibelwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, legt biblische Texte anders aus als es klassischerweise getan wird und begründet das in seinem Vortrag.
Seiner Beobachtung nach wird in der kirchlichen Diskussion sehr verengt auf die Geschlechterfrage geschaut. Biblische Zitate und Belegtexte würden aus dem Zusammenhang gerissen – beispielsweise von erzkonservativen Alt-Bischöfen, die ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollten.
Aber auch viele liberale Kirchenvertreter gingen nicht anders vor und ließen ebenfalls wesentliche Teile des Kontextes außer Acht. Es gebe durchaus biblische Stellen, in denen sich andere Vorstellungen von Beziehungen und Sexualität widerspiegeln.
"In der hebräischen Bibel finden sich sehr verschiedene kulturelle Entwürfe von Sexualität, Partnerschaft und Familie."
Heute sind homosexuelle Partnerschaften sogar unter protestantischen Pfarrerinnen oder Pfarrern grundsätzlich erlaubt. Es dauerte jedoch bis zum Jahr 2010, ehe in Deutschland das Dienstrecht für Pfarrer angepasst und somit neue Möglichkeiten des Zusammenlebens eröffnet wurden.
Zwar haben sich die Urtexte in der Heiligen Schrift nie verändert, doch interpretieren wir sie zu verschiedenen Zeiten immer wieder anders.
Auslegung alter Schriften kulturell bedingt
Es geht also immer um Exegese, also um die Auslegung der alten Schriften in bestimmten kulturellen Zusammenhängen. Das führt auch Michaela Bauks in ihrem Vortrag an, Professorin für Bibelwissenschaft am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Sie erklärt darin unter anderem, dass der hebräische Name "Adam" mehrere Bedeutungen hat: Mann, Mensch, Menschheit oder Jemand.
Wie männlich war Adam?
War das erste von Gott geschaffene Lebewesen vielleicht sogar androgyn, hat also weibliche und männliche Merkmale in sich vereinigt? Forschende diskutieren diese Frage, die sich Gläubige über die Jahrhunderte nicht gestellt haben, mit großer Intensität. Dabei tauchen nahezu alle denkbaren Formen auf.
"Einige Texte bezeugen die Erschaffung eines männlichen Paares, andere die eines männlichen und weiblichen Typs."
Auch befasst sich Michaela Bauks mit der These, bei der Erschaffung des Menschen habe es sich in Wahrheit zunächst um nichts anderes als einen Protoplasten gehandelt – also die kleinste lebensfähige Einheit: der Inhalt einer Zelle, die mit einer Zellwand ausgestattet ist.
Altes Testament setzt soziales und physisches Geschlecht miteinander in Beziehung
Daraus könnten in der weiteren Entwicklung die Menschen entstanden sein. Später geht in den Erzählungen die soziale Bestimmung des Menschen mit dem Geschlechtsakt einher, so Michaela Bauks. Laut Altem Testament hätten sich Frau und Mann miteinander zu "verbinden", um Nachkommen zu zeugen: Als "Social Gender gepaart mit physical sex" bezeichnet das Michaela Bauks.
Am Ende bleibt die Kernfrage weiterhin offen: Wer genau waren Adam und Eva?
"Fluides Geschlecht" - unter diesem Titel hat die Theologische Fakultät der Universität Halle-Wittenberg am 15. und 16. Januar 2020 ihre Theologischen Tage veranstaltet. Dabei ging es um bibelwissenschaftliche Perspektiven auf Homosexualität, Transsexualität und Jungfrauenschaft.
Der Vortrag der Theologin Michaela Bauks von der Universität Koblenz-Landau trägt den Titel "Der erste Mansch ein Protoplast. Überlegungen zur Genderkonstruktion am Beispiel von altorienrtalischen Schöpfungsmythen im Vergleich mit Genesis 1-3". Der Bibelwissenschaftler Stefan Schorch von der Uni Halle-Wittenberg spricht über das Thema "Moralisches Chaos oder geschöpfliche Sexualität? Die kirchlichen Diskussionen homosexueller Partnerschaften aus alttestamentlicher Sicht".
Ein weiterer Hörsaal zu einem verwandten Thema lief am Ostersonntag: "Religion und Gendernormen - Nur wenige Religionsgemeinschaften öffnen sich der LGBTQI-Community"