Aus dem Gazastreifen zu berichten, ist für ausländische Journalisten kaum mehr möglich. Umso wichtiger ist für sie die Zusammenarbeit mit Journalisten vor Ort – wie mit Mohammad. Doch auch für den ARD-Mitarbeiter wurde es zu gefährlich, er hat das Gebiet mittlerweile verlassen. Kommen wir also überhaupt noch an unabhängige Stimmen? Wie können unsere Korrespondent*innen die Meldungen überprüfen?
Israel kämpft jetzt seit über sieben Monaten gegen die Hamas. Dass es ein langer Krieg werden würde, hat Israels Ministerpräsident Netanjahu schon immer gesagt. Doch die Wahrheit ist auch: Dieser Krieg tötet viele Menschen – auch sehr viele unschuldige. Die Lage ist hochgefährlich, jeder Tag kann der letzte sein. Das Leid und die Not im Gazastreifen ist enorm, es fehlt besonders an Lebensmitteln und Wasser.
"Es gibt ein Defizit an journalistischer Freiheit, freier Presse, was die Berichterstattung über den Gazastreifen angeht."
Das Problem: Einen freien Zugang für ausländische Journalistinnen und Journalisten gibt es nicht. Umso wichtiger waren die Mitarbeiter vor Ort, zum Beispiel Mohammad Abu Saif (im Bild oben), heute Anfang 30, der seit 2010 als Journalist arbeitet. Er wuchs in Gaza auf und hat für die ARD aus dem Gazastreifen berichtet – bis vor wenigen Wochen. Weil es zu gefährlich wurde, ist er inzwischen in Deutschland.
"Du musst stark und geduldig sein"
Im Gazastreifen journalistisch zu arbeiten, war auch schon vor dem 7. Oktober 2023 eine Herausforderung: "Es ist ziemlich schwer, in Gaza Journalist zu sein", sagt Mohammad. "Du musst sehr stark und geduldig sein, wenn du aus einem Krieg berichtest." Er habe eine besondere Verantwortung gespürt. Die meiste Zeit sei es um Krieg oder Eskalationen gegangen – oder darüber, was an den Grenzen passiert.
"Als Journalist in Gaza fühlst du, dass da eine besondere Verantwortung auf deinen Schultern liegt und dass du berichten MUSST."
Nach dem 7. Oktober 2023 wurde die Situation dann extrem, Mohammad spricht von einem "Albtraum". Seine Arbeit, sein ganzes Leben, habe sich verändert – es sei zur "Hölle" geworden: Gleich am ersten Tag des Krieges habe er sein Zuhause verlassen müssen. Von da an sei er ausschließlich an fremden Orten gewesen – getrennt von seiner Familie, an die er ständig denken musste. "Alle mussten während des Kriegs sieben oder acht mal in ein anderes Haus ziehen", erzählt er.
"Mein Leben wurde zur Hölle"
Mohammad lebte unter den schwierigsten Bedingungen und schlief meistens im Auto. Er habe keinen Ort mehr gehabt, an den er gehen konnte. Niemand auf der Welt könne sich das vorstellen. Er habe es sich selbst nie vorstellen können.
"Was nach dem 7. Oktober mit mir passiert ist, ist wie ein Albtraum. Mein Leben wurde zur Hölle."
"Es gibt Menschen, die leben bis zu diesem Moment unter den schwierigsten Bedingungen der Welt", so der ARD-Mitarbeiter. Unter diesen Umständen ist es unfassbar schwer, berichten zu können.
Infos aus Whatsappgruppen – und als Augenzeuge
Das Internet sei eine wichtige Quelle, hat uns Mohammed erzählt. Zudem gebe es eine Whatsapp-Gruppe für alle Journalist*innen in Gaza, dort seien über 600 Personen angemeldet. Sie alle gäben sich ihre Informationen untereinander ständig weiter.
Und natürlich sei er auch immer wieder selbst vor Ort gewesen: Einmal hätten die Journalisten ein Gebiet verlassen, weil es Gerüchte über israelische Angriffe gab. Da habe er zu seinen Kollegen gesagt: "Seid ihr verrückt? Wir sind Journalisten. Wir müssen uns das doch angucken. Mit unseren eigenen Augen. Dann wissen wir doch erst, ob es wahr ist oder nicht!"
"Man muss da hingehen, wo etwas passiert – muss es filmen, sehen!"
Sie seien also nochmal zurückgefahren. Als sie die Panzer dann gesehen hätten, seien sie wieder weg. "Wenn die israelische Armee ein Haus beschießt, fliehen die Menschen", sagt Mohammad. "Wir Journalisten nehmen die umgekehrte Richtung: Wir gehen dann erst recht dort hin."
Nicht einfach, für einen deutschen Sender zu arbeiten
Dass Mohammad für einen deutschen Sender arbeitet, habe sich "angefühlt wie ein zusätzlicher Druck, der auf mir gelastet hat". Denn natürlich habe er auch die Nachrichten und Statements gelesen, in denen die Bundesregierung ihre Unterstützung für Israel erklärte.
Laut Committee to protect Journalists (CPJ ) sind seit Kriegsausbruch rund einhundert palästinensische Journalistinnen und Journalisten getötet worden. Bereits Ende Oktober 2023 haben die israelischen Streitkräfte mitgeteilt, dass sie die Sicherheit der Journalist*innen in Gaza im Zuge der Militäroperationen nicht garantieren können.
"Mohammed war unser Auge und Ohr in Gaza"
Diese Situation war für unsere Kolleg*innen im ARD-Studio in Tel Aviv äußerst belastend –seit zwei Jahren hatten sie mit Mohammad zusammengearbeitet. Er war "unser Auge und Ohr in Gaza", sagt Korrespondent Jan-Christoph Kitzler. "Wir haben ihn gebraucht" – zum Beispiel, wenn es darum ging, zu verifizieren, ob Hilfslieferungen auch tatsächlich angekommen sind.
"Ich habe sehr gebangt tatsächlich. Mohammad und ich haben fast jeden Tag miteinander telefoniert."
Ohne Mohammad vor Ort versucht das ARD-Studio das jetzt vor allem, indem sie verschiedene Quellen und Aussagen übereinanderlegen und vergleichen. Solche Quellen können sein:
- das, was die israelischen Streitkräfte veröffentlichen
- andere Journalisten im Gazastreifen, die die ARD anrufen kann
- Hilfsorganisationen vor Ort
"Es ist hier im Krieg ganz schwer, überhaupt jemanden zu treffen, der nicht einer Agenda folgt. Insofern müssen wir das immer überprüfen."
Was Gaza angeht, sei die Quellenlage äußerst schwer – "das muss ich zugestehen", sagt Jan-Christoph Kitzler. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, wir haben da einen richtig korrektes, vollständiges Bild über das, was passiert. Wir müssen immer wieder sagen: Wir können es alles nicht ganz hundertprozentig verifizieren."
Mohammads Herz ist in Gaza
Das ARD-Studio Tel Aviv hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Mohammad ausreisen durfte. Das war alles andere als einfach, hat aber dann im Frühjahr 2024 geklappt. Heute ist Mohammad, zusammen mit seiner Frau, in Deutschland. Sein Herz und seine Gedanken sind aber in Gaza – denn dort lebt nach wie vor der Rest seiner Familie.
"Mein Körper ist hier, aber meine Gedanken und mein Herz sind in Gaza. Ich mache mir große Sorgen um meine Familie und meine Freunde."
Es sei sehr anstrengend, seiner Familie und seinen Freunden gegenüber seine Gefühle verbergen zu müssen. Er versuche, sie zu unterstützen, dass sie sich gut fühlen und sich keine Sorgen machen.
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