Es sind seltene Bilder – Palästinenser, die fordern: Hamas raus aus Gaza! Der Druck auf die Terrororganisation wächst. Könnte das das Ende der Hamas bedeuten? Mohammad Abu Saif, Journalist aus Gaza, spricht über die Zukunft seiner Heimat.
Es sind zwei Nachrichten aus dem Gazastreifen, die aufhorchen lassen: Erstens sollen Ende März und Anfang April 2025 unter anderem in der Stadt Beit Lahija Hunderte Menschen auf die Straße gegangen sein, um gegen den Krieg, Israel, aber auch gegen die Hamas zu demonstrieren. Zweitens ist da ein Bericht der BBC, wonach die Hamas bereit sein könnte, die Kontrolle im Gazastreifen abzugeben.
Die Hamas ist geschwächt, aber nicht am Ende
Mohammad Abu Saif ist Journalist. Er stammt aus Gaza und hat bis vor einem Jahr dort gelebt und als Journalist gearbeitet. Inzwischen arbeitet er in Deutschland für den Bayerischen Rundfunk. Mit den Menschen und seinen Kolleg*innen vor Ort steht er eng in Kontakt. Dass die Menschen auf die Straße gegangen sind, verwundert ihn nicht.
"Es ging nicht nur um die Hamas. Die Menschen forderten, den Krieg und das Leiden zu beenden, humanitäre Hilfe durchzulassen. Und dann forderten sie eben auch, die Herrschaft der Hamas in Gaza zu beenden."
Menschen, die ihre Meinung äußern und sich gegen die Hamas, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, positionieren, das wäre vor dem 7. Oktober 2023 nicht möglich gewesen, davon ist Mohammad Abu Saif überzeugt. Doch inzwischen ist die Hamas so sehr geschwächt, dass sie die Lage auf den Straßen nicht kontrollieren kann, sagt der Journalist.
Leben unter der Hamas
Vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ist aber genau das der Fall gewesen, sagt Mohammad Abu Saif. Er berichtet, wie es war, in einem Land aufzuwachsen, dass seit 18 Jahren von der Hamas beherrscht wird und räumt dabei mit Klischees auf:
"Auf den Straßen sind keine maskierten Leute mit Waffen unterwegs. Die Polizisten sehen aus wie normale Polizisten. Aber alle gehören der Hamas an, ebenso wie Richter und Verwaltungsangestellte."
Doch seit dem Krieg ist die Hamas und damit auch der Regierungsappart geschwächt, erklärt. Zwar stehe die Polizei noch vor Krankenhäusern und sei bei Rettungseinsätzen dabei, aber so präsent wie früher sei sie einfach nicht. Die Menschen hätten das erkannt und seien ziemlich spontan auf die Straße gegangen. Denn der Protest, betont Mohammad Abu Saif, sei nicht organisiert gewesen.
Menschen in Gaza kriegsmüde
Die Menschen sind müde vom Krieg, das beobachtet auch Julio Segador, ARD-Korrespondent in Tel Aviv. Dass die Hamas bereit sein könnte, die Kontrolle im Gazastreifen an eine palästinensische Behörde abzugeben, wie die britische BBC unter Berufung auf einen ranghohen palästinensischen Funktionär berichtete, hält der Korrespondent aus mehreren Gründen für unwahrscheinlich.
Zwar ist die Hamas durch den Krieg geschwächt, bestätigt Julio Segador. Vor allem fehle es der Terrororganisation an Geld und neuen Waffen. Denn durch die Zerstörung der Tunnel durch die israelische Armee könnten keine größeren und neuen Waffen mehr in den Gazastreifen geschmuggelt werden.
Keine wirkliche Alternative zur Hamas vorhanden
Trotzdem, so die Einschätzung des Korrespondenten, ist die Hamas immer noch stark bewaffnet und dadurch die mächtigste Kraft in Gaza. Zudem, so der Journalist, ist völlig unklar, an welche andere Palästinenserorganisation die Macht abgetreten werden sollte. Einzig die Fatah käme ernsthaft infrage. Doch auch das sei sehr schwer vorstellbar, weil die Hamas und Fatah heftig zerstritten seien.
"Viele Menschen haben Familienmitglieder verloren. Man sieht, wie viele Opfer es gibt in diesem Krieg. Dass sich junge Palästinenser angesichts dessen radikalisieren, verwundert nicht."
Nicht zu unterschätzen ist laut Julio Segador zudem die Unterstützung der Hamas innerhalb der Bevölkerung. Der Journalist erzählt von zwei-, dreijährigen Kindern, die er auf seinen Reisen gesehen hat, die mit Plastik-Kalaschnikows spielen und denen sehr frühzeitig beigebracht werde, dass Israel der gemeinsame Feind ist, den es zu bekämpfen gilt.
Wie viel Unterstützung die Hamas seitens der Bevölkerung wirklich hat, ist schwer zu sagen, weil es für die Menschen im Gazastreifen nach wie vor nicht ungefährlich ist, sich gegen die Hamas auszusprechen, sagt unser Korrespondent.
Wunsch nach einer lebenswerten Zukunft in Gaza
Auch Mohammad Abu Saif weiß, dass es immer Menschen im Gazastreifen geben wird, die die Hamas unterstützen. Gleichzeitig ist ihm wichtig zu betonen, dass es viele Menschen gibt, die, wie er es sagt, "nicht Hamas sind".
"Ich bin nicht Hamas. Meine Familie ist nicht Hamas. Wir haben unsere Häuser verloren, unsere Verwandten. Ich habe meine Freunde verloren. Auch sie sind nicht Hamas."
Der Journalist, der nun in Deutschland lebt und arbeitet, ist überzeugt: Ohne die Hamas wäre eine bessere Zukunft für die Menschen im Gazastreifen möglich. Korrespondent Julio Segado hingegen schließt aus, dass das in allzu naher Zukunft passieren wird.
Einzig, dass die Hamas als militärische Macht zerschlagen werden könnte, hält er für denkbar. Zu Frieden, so seine Einschätzung, würde das aber nicht führen, sondern zu Anschlägen auf Israel im Sinne eine Intifada. Ein Gaza ganz ohne Hamas hält er auf absehbare Zeit nicht für denkbar.
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