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Zehntausende Menschen machen sich zu Fuß auf in den Norden des Gazastreifens, der bisher vom israelischen Militär abgeriegelt war. Für die Palästinenser bedeutet das ein wenig Hoffnung, sagt Nina Schöler. Sie leistet in Gaza psychologische Hilfe.

Sie haben ihr Hab und Gut dabei, tragen Kinder in ihren Armen, sind größtenteils zu Fuß unterwegs. Zehntausende Menschen, so die Schätzungen, kehren aus dem Süden des Gazastreifens in den Norden zurück. Sie gehen durch den sogenannten Netzarim-Korridor, der seit Monaten von der israelischen Armee gesperrt war. Rund eine Million Menschen hatten diesen Teil des Gazastreifens verlassen. Dass sie nun zurückkehren können, ist Teil der Vereinbarung zur Waffenruhe zwischen Israel und der Terrorgruppe Hamas.

Waffenruhe, doch lange kein Frieden

Die Menschen, die zurück auf dem Weg in ihr Zuhause sind, singen und jubeln, berichtet Julio Segador, ARD-Korrespondent für Israel und die palästinensischen Gebiete. Sie bauen ihre Zelte auf und hoffen, dass sie hier in nicht allzu ferner Zukunft wieder in einem Haus oder einer Wohnung werden leben können.

Doch von so etwas wie Wiederaufbau oder gar Frieden ist die Region noch weit entfernt.

"Der Norden des Gazastreifens ist eine Trümmerwüste. Hier haben bis zuletzt die heftigsten Kämpfe stattgefunden."
Julio Segador, ARD-Korrespondent für Israel und die palästinensischen Gebiete

Ergriffen von der Reaktion der Menschen vor Ort ist auch Nina Schöler. Sie arbeitet als Psychotherapeutin in Gaza und forscht zur psychischen Gesundheit. Derzeit koordiniert sie das psychosoziale Team von Handicap International, einer Organisation im Bündnis "Aktion Deutschland Hilft", die vor allem Menschen mit Behinderungen, Trauma und Kindern hilft.

Krieg als "psychologische Katastrophe"

Als die Psychologin am 7. Oktober 2023 von ihrer Dachterrasse im Gazastreifen die ersten Raketen nach Israel fliegen sah, ahnte sie bereits: Das wird eine längerfristige Angelegenheit. Die seitdem vergangene Zeit bezeichnet Nina Schöler wortwörtlich als "Hölle" für die Menschen im Gazastreifen.

Doch nun sei wieder Freude zu spüren: "Die Menschen tanzen, man hört Musik", erzählt sie. Gleichzeitig weiß sie, dass in dieser Zeit, in der die Menschen ein wenig zur Ruhe kommen können, viele realisieren werden, was sie alles verloren haben – geliebte Menschen, ihre Häuser, ja eigentlich ihr gesamtes Leben, wie es bisher war. Dabei war ein Leben im Gazastreifen nie leicht, betont Nina Schüler, die hier seit sechs Jahren arbeitet.

"Jeder Mensch in Gaza, wirklich jeder, hat jemanden verloren."
Nina Schöler, Psychologin im Gazastreifen

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef schätzt, dass allein über eine Million Kinder psychische Betreuung oder psychosoziale Unterstützung bräuchten.

Nina Schölers Team kümmert sich um Menschen mit Behinderungen und Kriegsverletzungen. Schätzungen zufolge wurden in diesem Krieg – Stand jetzt – etwa 10.000 Menschen verletzt, so die Psychologin. Etwa 4.000 davon haben Gliedmaßen verloren. Das Team von Handicap International unterstützt diese Menschen unter anderem mit Physiotherapie – aber es geht auch einfach darum, "wie man jetzt mit dem Leben klarkommt", sagt Schöler.

Heilung von Traumata "noch gar nicht möglich"

Doch so wie an Frieden im Gazastreifen noch nicht zu denken ist, ist auch noch nicht die Zeit für die Heilung von Verlusten und Traumata, sagt die Psychologin. Das sei noch gar nicht möglich. Deswegen, erklärt Nina Schöler, konzentrieren sich die Helferinnen und Helfer aller Organisationen zunächst darauf, die langfristigen Folgen, die der Krieg mit sich bringt, einzudämmen.

Anderenfalls würden die Kinder später nicht in der Lage sein, in die Schule zu gehen. Erwachsene würden ihre Jobs und Berufe nicht mehr ausüben können. Dass das genau so kommt, wenn keine Hilfe vor Ort verfügbar ist, wisse man aus anderen Orten der Welt.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Nahostkonflikt
Gaza: Erste Hoffnung nach der "Hölle"
vom 27. Januar 2025
Moderation: 
Rahel Klein
Gesprächspartner: 
Julio Segador, Korrespondent im ARD-Studio Tel Aviv
Gesprächspartnerin: 
Nina Schöler, Psychologin in Gaza