In Istanbul soll die Gay Pride 2017 stattfinden – trotz eines offiziellen Verbots "aus Sicherheitsgründen". Der Marsch fällt zusammen mit dem Ende des Ramadan. Nationalistische Gruppen haben angekündigt, ihn zu verhindern, falls der Staat es nicht tun sollte. Teilnehmer wurden bedroht, ihnen wird die "Beleidigung türkischer Werte" vorgeworfen.
In den letzten Jahren nimmt die gesellschaftliche Polarisation in der Türkei immer mehr zu, berichtet Luise Sammann aus Istanbul. Viele LGBT-Aktivisten sprechen von zunehmender Diskriminierung und Angst. Der Gay-Pride-Marsch war auch schon in den letzten beiden Jahren verboten worden. Versammlungen hatte es aber trotzdem gegeben – sie wurden allerdings teilweise brutal von der Polizei aufgelöst.
Verbot "aus Sicherheitsgründen"
Seit letztem Juli herrscht offiziell Ausnahmezustand in der Türkei. Die Versammlungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Offizielle Begründung des Gouverneurs von Istanbul für das Verbot der Gay Pride 2017: Die Veranstaltung darf "aus Sicherheitsgründen" nicht stattfinden. Für die Aktivisten spielt das aber gar keine Rolle. Die Teilnehmer wollen sich nicht einschüchtern lassen und auf jeden Fall am 25. Juni marschieren.
"Wir müssen sichtbar werden, damit die Menschen uns akzeptieren lernen. Deswegen ist diese Parade so wichtig für uns."
Im letzten Jahr gab es viele Polizeieinsätze und viel Tränengas. Luise Sammann geht davon aus, dass das 2017 ähnlich ablaufen wird. Trotzdem - oder gerade deswegen - lautet das trotzige Motto des Marsches: "Wir sind hier, wir bleiben hier, gewöhnt euch dran!"
"Sexuelle Minderheiten sind immer noch ein großes Tabu hier. In vielen Kreisen wird Homosexualität oder Transsexualität als Krankheit gesehen – und das wird durch Kommentare der regierenden AKP noch gestützt."
Die türkische Gesellschaft sei eine mehrheitlich konservative Gesellschaft. Auf der anderen Seite sei die LGBT-Szene sehr aktiv für ein islamisches Land, sagt Luise. Bei der Gay-Pride 2013 seien etwa 100.000 Teilnehmer gewesen. In den letzten Jahren haben die Zahlen aber abgenommen. Durch die sozialen Spannungen in den letzten Monaten werde in der Türkei immer mehr Hass gegen Andersdenkende geschürt - also auch gegen Homosexuelle.
"Die Erdogan-treuen Massenmedien – das sind praktisch alle Massenmedien inzwischen – sparen das Ereignis einfach aus. Die Gay Pride findet medial nicht statt."
Die ultra-nationalistische Gruppe "Alperen Ocaklari" hat die Veranstaltung im TV als "Beleidigung der türkischen Werte" bezeichnet. "Wenn der Staat nicht einschreitet, dann tun wir es! Wir werden diesen Marsch nicht zulassen", so der Anführer der Gruppe.
Solche - nicht bestraften - Aufforderungen, kritisieren die LGBT-Aktivisten, offenbarten die zunehmende Tendenz, Schwule und Lesben in der Türkei als "Freiwild" zu sehen, die man bedrohen und angreifen könne, wie man will.
"Letztes Jahr wurde unsere Freundin Seda zusammengeschlagen und dann in den Garten einer Moschee geworfen. Sie starb später im Krankenhaus."
Der Täter, so Deniz Tunc, habe ganz offiziell eine mildere Strafe bekommen, weil sein Opfer eine Transsexuelle war. Er bekam neun Jahre, obwohl das türkische Gesetz für solche Morde ganz klar lebenslänglich vorsieht.