Es wurde über Fußball geredet die letzten Wochen, aber mehr über Menschenrechte, Baustellen und Pressefreiheit. Am Sonntag endet die Fußball-WM. Sie hat die Rolle Katars in der arabischen Welt beeinflusst – zu Gunsten des Emirats, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Am Sonntag spielt Frankreich gegen Argentinien im Finale, danach ist die Fußballweltmeisterschaft vorbei. Es war die umstrittenste WM aller Zeiten, sagen viele – zumindest in Deutschland. Das mit sehr viel Geld realisierte Riesen-Event sei Teil einer global angelegten Imagekampagne des Emirats, war oft zu hören. Fakt ist: Die WM hat trotz aller Kritik stattgefunden.
Katar ist ein kleines Land und steht im Schatten der großen Nachbarstaaten Saudi-Arabien und Iran. Was bedeutet die WM nun für Katars Rolle in der arabischen Welt und für die Machtverhältnisse auf der arabische Halbinsel?
"Standing und Einfluss Katars in der Region sind heute deutlich besser als noch vor ein paar Jahren. Ich würde sogar sagen, dass Katar heute fast als gleichwertiger Partner neben Saudi-Arabien steht. Das ist ein ungeheurer Erfolg."
Die Position und der Einfluss Katars in der Region habe sich durch die WM eindeutig verbessert, sagt Guido Steinberg, Experte für die Region bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Gerade mal vor fünf Jahren begann eine massive wirtschaftliche Blockade des Landes durch die Nachbarstaaten, erinnert er.
Saudi-Arabien hatte sie 2017 verhängt, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten zogen mit, setzten ihre diplomatischen Beziehungen mit Doha aus und schlossen Land- und Seegrenzen zum Emirat. Ihr Vorwurf: Katar würde Terrorgruppen unterstützen und pflege eine zu große Nähe zum Iran.
Mit der Blockade sollte Katar dazu gezwungen werden, die eigenständige Außenpolitik aufzugeben und sich der politischen Agenda der Nachbarn anzuschließen. Möglicherweise war sogar geplant, Soldaten nach Katar zu schicken. Unter anderem die US-Regierung hatte das damals verhindert.
Erst Blockade, jetzt gestärkte Position Katars
Ein Teil der Blockade sei auch der "wenig subtile" Versuch gewesen, dem Emirat die WM in letzter Minute noch zu entziehen, erklärt Guido Steinberg – durch den Vorstoß, schon in Katar 48 Mannschaften teilnehmen zu lassen, wie das bei der nächsten WM 2026 in Kanada, Mexiko und den USA geplant ist. Das hätte Katar nicht mehr stemmen können.
"Allein die Tatsache, dass die WM doch stattfindet, ist schon ein großer Erfolg. Katar ist es gelungen, auf der Weltbühne alle Nachbarn zu überstrahlen."
Doch das Emirat setzte sich durch "gegen Nachbarn, die eigentlich viel stärker, mächtiger und bekannter waren", so Steinberg. 2021, ein Jahr vor der WM, wurde die Blockade wieder aufgehoben. Der saudi-arabische Kronprinz war während der WM zu Besuch, genauso wie der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate.
Außerdem habe Katar keine Zugeständnisse gemacht an die Nachbarn, das sei ein sehr deutlicher Zuwachs an Einfluss. Heute sei Katar wieder etabliert in der Region. Mehr noch: Das Land stehe jetzt sogar fast als gleichwertiger Partner neben Saudi-Arabien, so Guido Steinberg.
"Blockade war insgesamt ein Fehler"
Insgesamt sei die Blockade der Nachbarstaaten Katars ein Fehler gewesen, analysiert der Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Noch 2017 hatte Katar 70 Prozent seiner Lebensmittel aus Saudi-Arabien importiert. Gezwungen durch die Blockade sei das Emirat dann dazu übergegangen, alle Importe neu abzuwickeln. Heute beziehe es seine Lebensmittel aus allen möglichen Ländern, vor allem per Schiff aus Iran und der Türkei.
"Durch die Blockade haben die Kataris ihr ungeheures Geldvermögen dazu genutzt, ihre gesamte Wirtschaft umzukrempeln. Damit haben die Nachbarn nicht gerechnet, insofern war das eine krachende Niederlage für sie."
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten hätten damit gerechnet, dass Katar durch den Boykott schnell klein beigeben muss, sagt Steinberg. Sie hätten allerdings die Widerstandskraft des Landes unterschätzt.
Katars Position wird stark bleiben
Guido Steinberg geht davon aus, dass die gestärkte Position Katars auch über die WM hinaus Bestand haben wird – vor allem auch deshalb, weil Katar eine Gas-Großmacht ist, in Folge des Ukraine-Krieges "vielleicht sogar der wichtigste Gaslieferant weltweit". Das Emirat könne verflüssigtes Gas mit Tankschiffen fast überall hinschicken, was andere Gas-Großmächte wie Russland oder Iran nicht könnten. Diese herausragende Stellung auf den Energiemärkten werde bestehen bleiben.
Skeptischer ist Guido Steinberg hingegen bei der Frage, ob auch das – während der WM zur Schau getragene – verbesserte Verhältnis zu den Nachbarstaaten Bestand haben wird. An dem Grundkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar habe sich nämlich prinzipiell nichts geändert. Katars eigenständige Politik sei dem großen Nachbarn ein Dorn im Auge.
"Es gibt jetzt einen regelrechten katarischen und nicht mehr nur einen arabischen Nationalismus."
Zusammen mit der vorangegangenen Blockade habe das Großereignis innenpolitisch dafür gesorgt, dass die Kataris sehr viel enger zusammenstehen – dass es einen "regelrechten katarischen und nicht mehr nur einen arabischen Nationalismus" gibt. Außerdem habe die WM auch die Position des Emirs gestärkt, bei dem man in den ersten Jahren nie so ganz sicher war, ob er in die großen Fußstapfen seines Vaters passen würde, erklärt Steinberg.
Hinweis: Unser Bild oben zeigt (v.l.n.r.) Katars Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani neben Fifa-Präsident Gianni Infantino und dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman im Stadion in Doha beim Spiel Katar vs. Ecuador (20.11.2022).