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153 Menschen sterben bei der Flut im Ahrtal. Das ist inzwischen drei Jahre her. Der Wiederaufbau läuft vielerorts, ist aber noch immer nicht abgeschlossen. Viele Bewohner*innen kämpfen zudem noch mit ihren Traumata, weiß Ahrtal-Psychologe Markus Schmitt.

Schmitt ist leitender Psychologe an der Dr. von Ehrenwall'schen Klinik in Ahrweiler. Er verlässt die Klinik am Abend des 14. Juli, ungefähr eine Stunde, bevor die Wassermassen auf Ahrweiler treffen.

Durch Nachrichten seiner Kolleg*innen bekommt er mit, was passiert. Auch Teile der Klinik werden zerstört. Aber er kann etwas tun. Direkt nach der Flut berät er Menschen am Hilfetelefon. Markus Schmitt sagt, so eine Nacht sei ein Trauma. Wir kommen da im Kopf nicht richtig mit.

Ahrtal: Bevölkerung massiv traumatisiert

Markus Schmitt vergleicht die Situation mit Bäumen. Es gebe Bäume, die wir mit unseren Armen gut umgreifen können, weil sie dünn genug sind. Und dann gebe es Bäume, die seien so dick, die könne man allein gar nicht umgreifen.

"Es gibt Bäume, die wir mit unseren Armen gut umgreifen können, weil sie dünn genug sind. Und dann gibt es Bäume, die sind so dick, die können wir alleine gar nicht umgreifen."
Markus Schmitt, Ahrtal-Psychologe

Die Flutkatastrophe im Ahrtal sei so ein massiver Baumstamm. Markus Schmitt hilft sofort, richtet ein Notfalltelefon ein und fährt mit einem Bus direkt zu den Menschen. Die Angebote wurden genutzt. Er hört Geschichten über Verluste von Angehörigen. Am schrecklichsten sind für ihn die Geschichten über den Verlust von eigenen Kindern.

"Die verzweifeltesten Geschichten waren die, wo es sich um den Verlust von Angehörigen handelte, die schrecklichsten Verluste, von denen wir gehört haben, sind die von eigenen Kindern. Das war sehr hart.“
Markus Schmitt, Ahrtal-Psychologe

Der Jahrestag jetzt sei symbolisch für ihn, er erinnert sich an Gespräche mit Patient*innen, Kolleg*innen und Freund*innen, hat aber auch Bilder vor Augen, wie es kurz nach der Flut im Ahrtal aussah.

Unterschiedlich weit mit der Verarbeitung

Inzwischen ist der Stand der Verarbeitung der Ereignisse während der Flutkatastrophe unterschiedlich weit fortgeschritten, sagt der Psychologe. Zwar habe jeder etwas mit Wasser erlebt, die konkreten Erlebnisse unterscheiden sich dann doch massiv.

Da sei beispielsweise die Familie, die zusammen im zweiten Stock ihres Hauses eingeschlossen war. Andere Menschen seien allein gewesen, in Sorge um ihre Angehörigen. Und es gebe noch schlimmere Geschichten, wie etwa den Verlust von Angehörigen live mitzuerleben. Dementsprechend seien die Verarbeitungsschritte unterschiedlich.

"Wenn man sogar den Verlust des anderen live miterlebt hat, dann hat man natürlich noch eine ganz, ganz andere Dramatik in derselben Flutnacht gehabt."
Markus Schmitt, Ahrtal-Psychologe

Wichtig sei bei der Traumaverarbeitung auch ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Je mehr Abstand es von den Ereignissen in der Flutnacht gebe, je mehr Gebäude wieder aufgebaut werden, umso leichter fällt es, die Vergangenheit dann zu verarbeiten. Es würde den Menschen im Ahrtal guttun, wenn die Schäden möglichst behoben werden.

Hoffnung im Ahrtal

Hoffnung mache ihm, dass es Forschungsbereiche gebe, die erklären, dass es die Möglichkeit gebe, nach traumatischen Erfahrungen glücklicher im Leben weiterzuschreiten als zuvor. Natürlich nicht, wenn ich mein Trauma nicht verarbeitet habe.

"Menschen, die traumatische Erfahrungen erlebt haben, vertiefen erstens häufig ihre zwischenmenschlichen Erfahrungen, erleben viel Solidarität, wie im Ahrtal es eben auch war."
Markus Schmitt, Ahrtal-Psychologe

Es sei auch zu beobachten, dass Menschen ihrem Leben mehr Bedeutung beimessen, Werte wechseln und Prioritäten in ihrem Leben neu setzen, so Markus Schmitt.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Drei Jahre später
Flutkatastrophe: Wie die Menschen sich und das Ahrtal aufbauen
vom 12. Juli 2024
Moderation: 
Ilka Knigge
Experte: 
Markus Schmitt, Leitender Psychologe im Ahrtal
Gesprächspartner: 
Marius, Reichert, Reporter bei der ARD