Felix hat zwischen 29 und 32 durchgehustlet, denn er hatte viel vor: Haus, Kinder und das Familienunternehmen übernehmen. Soziologin Julia Hahmann erklärt, warum wir glauben, bestimmte Lebensentscheidungen bis zu einem gewissen Alter treffen zu müssen.
Für Felix war eigentlich immer klar: Er will Vater werden und zwar möglichst bis zu seinem 30. Geburtstag. Das hat er auch geschafft. Im Oktober 2018 kam sein Sohn zur Welt, zwei Monate später, im Dezember, hat er seinem Dreißigsten gefeiert.
"Ich glaube, man sollte sich nicht von Eventualitäten beeinflussen lassen und deswegen bestimmte Sachen nicht machen."
Kurz bevor das Kind zur Welt kam, hat sich außerdem noch sein Berufsleben verändert. Felix hat seinen Lehrerjob an den Nagel gehängt und zusammen mit seinem Bruder den Elektroinstallationsbetrieb seines Vaters übernommen. Dann folgte Kind Nummer zwei und der Umzug ins Eigenheim.
Ein ständiger Hustle um alle Ziele zu erreichen
Innerhalb von fünf Jahren hat sich sein Leben komplett verändert: Felix trägt Verantwortung für sich, seine Familie, sein Business und die Mitarbeiter. Schlaflose Nächte bereitet ihm das nicht. "Ich bin mit gutem Schlaf gesegnet", sagt er über sich und lacht. Dennoch ist ihm bewusst, dass er durch sein Leben hustlet.
"Ich bin selbständig und muss gucken, dass der Betrieb läuft. Der Hustle ist noch lange nicht vorbei."
Einen Ausgleich versucht Felix beim Fahrradfahren oder bei der Jagd zu finden. Aber so wirklich gestresst, überarbeitet oder durch scheint er nicht. Und eigentlich, sagt er, ist sein Leben genauso wie er es sich auf einer imaginären Bucketliste zusammengestellt hat.
Die Illusion, irgendwann im Leben angekommen zu sein
Das Leben, das Felix sich erträumt und das er sich erarbeitet hat, bewährt sich in der Realität. Doch das ist nicht die Regel, sagt Julia Hahmann, Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain. Sie forscht unter anderem zu Diversität und alternativen Familienmodellen.
"Ob Familiengründung, Wohnort oder Job - all das sind wichtige Entscheidungen. Zu glauben, dass sie alle zum gleichen Zeitpunkt getroffen werden müssen, ist Quatsch."
Die Forschung zeigt klar, sagt Julia Hahmann: Kaum ein Mensch bleibt ein Leben lang in einem Job, in einer Beziehung und an einem Wohnort. Die Idee, dass das so ist, sei aber immer noch sehr verbreitet.
Das hat zur Folge, dass wir uns Druck machen, bestimmte Lebensentscheidungen bis zu einem gewissen Alter zu treffen, so Julia Hahmann. Hinzu komme, dass viele Entscheidungen quasi unweigerlich in einen Lebensabschnitt fallen. Das Ende eines Studiums oder einer Ausbildung kann mehrere große Veränderungen mit sich bringen: einen Wohnortwechsel und damit einen neuen Freundeskreis plus einen neuen Job.
Parallel stelle sich in der Lebensphase vor allem Frauen die Frage, ob und wann sie Kinder haben wollen. Es ist also sehr viel, was quasi auf ein Mal passieren oder zumindest entschieden werden soll.
"Die Frage nach der Familiengründung ist ein Riesenthema, weil davon so viele andere Dinge abhängen. Wir sind dann zeitlich und räumlich nicht mehr so flexibel, wenn es um Job oder Wohnort geht."
Was die Soziologin bei all dem alarmierend findet, ist die Tendenz, dass wir uns ständig abmühen, alles erreichen zu müssen und uns damit einen wahnsinnigen Druck machen. Das hängt möglicherweise mit der Idee zusammen, wir seien irgendwann fertig oder angekommen. Doch diese Illusion nimmt Julia Hahmann: Denn ein Leben ohne Veränderung gibt es nicht.
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