Der Aufschrei war groß, aber schnell vorbei: Vor einem Jahr hat die ARD mit "Fake Science - Die Lügenmacher" eine Dokumentation über schlechte Wissenschaft und unseriöse Wissenschaftsmagazine berichtet. Ein Jahr später ist das in Deutschland fast wieder vergessen.
Ein völliger Nonsens-Text. Geschrieben von einer Computer-Software. Veröffentlicht in einem angeblich wissenschaftlichen Fachjournal von einem Journalisten und einer Journalistin, die sich mit falscher Identität als Wissenschaftler ausgegeben haben. Über dieses Experiment hat vor genau einem Jahr die ARD in der Doku "Fake Science" berichtet. Die beiden falschen Wissenschaftler wurden sogar zu einer Wissenschaftskonferenz eingeladen, durften dort ihren Nonsens-Text präsentieren und bekamen sogar eine Urkunde. Ein Skandal, aber kein Einzelfall.
Der Mathematiker Gerd Antes vom Cochrane Institute in Freiburg hatte die Filmemacher damals bei ihren Recherchen beraten. Er weist schon länger darauf hin, dass die Qualitätsstandards der Wissenschaft auch in Deutschland nicht eingehalten werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass wissenschaftliche Paper in unseriösen Wissenschaftsmagazinen, sogenannten Raubjournalen oder Predatory Journals, veröffentlicht werden. Sondern auch darum, dass einige Paper an sich den Standards der guten wissenschaftlichen Praxis nicht gerecht werden. Die Aufregung nach dem Film war groß - aber eben nicht nachhaltig. Eine systematische Aufarbeitung der Problematik gab es in Deutschland bislang nicht, sagt Gerd Antes.
"Nach kurzer Aufregung ging es wieder zum business as usual. Eine systematische Beschäftigung damit sehe ich eigentlich bis auf ein oder zwei Ausnahmen nirgendwo."
Wie wenig sich Verleger von Raubjournalen von den Recherchen und ihren Auswirkungen haben beeindrucken lassen, zeigt die ungebremste Flut von E-Mails, mit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen werden, doch in diesem oder jenem Magazin zu veröffentlichen. Für die Verleger ein gutes Geschäft, denn wissenschaftliche Publikationen gibt es nicht umsonst. Wer veröffentlichen will, muss zahlen. Das Geld dafür stammt nicht selten aus öffentlichen Mitteln, also Steuern.
Großer Veröffentlichungsdruck
Seriöse Journale prüfen die eingereichten Paper vor der Veröffentlichung. Im sogenannten Peer Review Verfahren lesen in der Regel zwei weitere Wissenschaftler die eingereichte Arbeit, prüfen kritisch zum Beispiel Methodik, Fallzahlen und Studienergebnisse. Erst nach einer solchen Prüfung werden die eingereichten Paper dann veröffentlicht. Raubjournale verzichten auf solche Qualitätsprüfungen. Ein lukratives Geschäft. Nicht nur für die Journale. Denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen Veröffentlichungen, um ihre Karriere voranzutreiben. Je mehr Veröffentlichungen, desto besser die Reputation.
Wer in Raubjournalen veröffentlicht, sucht eine Abkürzung auf der Karriereleiter. Das heißt nicht zwingend, dass die zugrunde liegende Arbeit schlecht ist, aber eine Veröffentlichung in einem seriösen Magazin dauert wegen des aufwändigen Review-Verfahrens schlicht länger. Manchmal bis zu neun Monate. Bis dahin kann die oft befristete Stelle fast schon wieder weg sein. Das erhöht den Veröffentlichungsdruck. Viele Wissenschaftler geben auch an, gar nicht gewusst zu haben, dass sie in einem unseriösen Magazin veröffentlichen. Eine Ausrede, sagt Gerd Antes, die er nicht gelten lässt. Er warnt auch davor, leichtfertig mit Veröffentlichungen umzugehen.
"Die Kommunikation ist das Herz der Wissenschaft. Wenn das nicht funktioniert, dann ist das Herz der Wissenschaft schwerst beschädigt."
Während das Problem in Deutschland weitestgehend auf kleiner Flamme gekocht wird, ist der Druck auf die Verleger von Raubjournalen in anderen Ländern deutlich höher. In Indien hat die Regierung Universitäten massiv unter Druck gesetzt, das Problem in den Griff zu bekommen und Veröffentlichungen in Raubjournalen zu unterbinden. Indien ist besonders betroffen, weil sie mit der Firma Omics einen der Hauptakteure im eigenen Land haben. In den USA wurde Omics im April 2019 wegen Betrugs zu einer Strafe von 50 Millionen Dollar verurteilt.
Die Probleme, die schlechte wissenschaftliche Praxis und leichtfertige Veröffentlichung von halbgaren Studien in unseriösen Magazinen mit sich bringen, bleiben aber nicht nur innerhalb des Wissenschaftskosmos. Sie betreffen uns alle, sagt Gerd Antes. Zum Beispiel, wenn es um Klimaforschung geht. Wer hier nach Quellen sucht, wird unter anderem auf Seiten von Leugnern des Klimawandels auf wissenschaftliche Studien verwiesen, die mitunter in Raubjournalen veröffentlicht wurden. Für Außenstehende ist aber kaum zu erkennen, ob es sich bei dem veröffentlichenden Journal um eine seriöse Quelle handelt. Auch im Bereich der Krebsforschung finden sich zahlreiche Studien, die in Raubjournalen veröffentlicht wurden. Auch hier können Außenstehende kaum feststellen, wie seriös die Quelle ist und ob die Studie zum Beispiel in einem Review-Verfahren überprüft wurde.