Es ist ein überraschendes Urteil, das das Oberlandesgericht München gefällt hat: Facebook darf auf der Klarnamenpflicht bestehen. Dabei gehört das Recht auf anonyme oder zumindest pseudonyme Teilhabe an der Kommunikation im Netz eigentlich zu den Grundfesten der Internetnutzung, sagt unser Netzreporter.
Manche Regeln im Netz gibt es zwar gefühlt schon immer – sie werden aber normalerweise nie wirklich streng überprüft. Beispiel Facebook: Dort dürfen sich Nutzende eigentlich nur mit ihrem Klarnamen anmelden. Wer sich "Micky Maus" nennt, kommt damit aber meistens auch durch.
Zwischen Regel und Realität
Zwischen der geltenden Regel und der Realität klafft also eine Lücke. Trotzdem hat das OLG München gestern entschieden, dass der bei Facebook vorgesehene Klarnamenzwang rechtens ist.
Das sei ein durchaus überraschendes Urteil, sagt Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter Michael Gessat. Denn das Recht auf anonyme oder zumindest pseudonyme Teilhabe an der Kommunikation im Internet sei eine Art Grundfeste der Webnutzung und sowohl die Bundesregierung als auch die EU hätten sich bisher eigentlich immer in dieser Richtung positioniert.
"Das Urteil des OLG München ist eine Art Paradigmenwechsel."
Menschen, die den Klarnamenzwang fordern, habe es auf der anderen Seite natürlich auch schon immer gegeben. Das Urteil des OLG München sei nichtsdestotrotz eine Art Paradigmenwechsel, meint unser Netzreporter.
In der Urteilsbegründung wird dieser auch erläutert: Facebook habe "angesichts eines mittlerweile weit verbreiteten sozialschädlichen Verhaltens im Internet" ein berechtigtes Interesse, durch den Klarnamenzwang bereits präventiv auf seine Nutzer einzuwirken.
Präventiv auf Nutzende einwirken
Diese Feststellung des Richters am OLG München, sei "einigermaßen gewagt", findet Michael Gessat. Das "sozialschädliche Verhalten" müsse sich also mittlerweile so breit gemacht haben, dass es – im Unterschied zu früher – heute nicht mehr anders geht, als auf der Klarnamenpflicht zu bestehen.
Andererseits sei die Feststellung des OLG natürlich nicht total aus der Luft gegriffen: Der Gebrauch der Social Networks und damit auch die Reichweite von Postings nimmt immer mehr zu. Seinem persönlichen Eindruck nach nehmen aber auch die Postings zu, die im Urteil "sozialschädlich" genannt werden, so Michael Gessat. Zu beobachten seien – Beispiel USA – immer schärfere Polarisierungen in der Gesellschaft samt Realitätsleugnungen, "Fake News" und Verschwörungsmythen. An die Stelle einer differenzierten, sachlichen Kritik sei oft ein schematisches Freund-Feind-Denken getreten.
Hemmschwelle niedriger bei Pseudonym?
In den Fällen, um die es vor Gericht gibt, hatten Nutzer Pseudonyme verwendet. Einer hatte unter seinem seinem Pseudonym wohl rassistische Postings über schwarze Kannibalen veröffentlicht. Facebook hat die Konten gesperrt.
Laut Gericht "liegt die Hemmschwelle bei der Verwendung eines Pseudonyms nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich niedriger." Durch den Klarnamenzwang sollen Hetze und Beleidigungen also eingedämmt werden.
Das klingt plausibel - aber geht diese Rechnung tatsächlich auf? In einem Kommentar von Anfang 2020 verweist Sascha Lobo auf die Erfahrungen in Südkorea: Dort wurde 2007 eine Klarnamenpflicht eingeführt – und 2011 wieder verworfen. Denn die Menschen hatten auch unter ihrem Klarnamen gehatet und beleidigt.