Online-Radikalisierung geht nicht von heute auf morgen, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner. Sie hat untersucht, wie der Prozess abläuft. Extremistische Gruppen gingen dabei sehr raffiniert vor.
Seit mehreren Jahren beschäftigt sich Julia Ebner mit Extremisten und wie sie sich radikalisieren. Dafür hat sie sich undercover unter Islamisten und Rechtsextreme begeben - online wie offline. Sie forscht am Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London. Davor arbeitete sie zwei Jahre lang bei Quilliam, einer Organisation zur Extremismusprävention, die von ehemaligen Islamisten gegründet wurde.
"Meine Offline-Undercover-Begegnungen waren sehr ungewöhnlich. Zum Beispiel war ich bei einem Strategietreffen der Identitären Bewegung, als sie ihren Ableger in Großbritannien und Irland gründen wollten - in einem Airbnb in Brixton mit einem Dutzend Identitärer aus ganz Europa."
Bei ihren Undercover-Begnungen hat sich Julia Ebner mit den verschiedensten extremistischen Gruppen getroffen. Als sehr seltsam oder ungewöhnlich beschreibt sie ein Strategietreffen der Identitären Bewegung in Brixton in einer Airbnb-Wohnung. Angst hätte sie dabei keine gehabt. Eine große Herausforderung sei eher eine andere Recherche gewesen, als sie im Netz undercover Mitglied eines radikalen antifeministischen Frauennetzwerkes war.
Extremistische Gruppen gehen raffiniert und strategisch vor
Darüber, wie die Radikalisierung im Netz abläuft, hat Julia Ebner ein Buch geschrieben: "Radikalisierungsmaschinen - Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren" heißt es.
"Das war das Spannende und Schockierende, wie raffiniert und strategisch extremistische Bewegungen im Radikalisierungsprozess vorgehen."
Mit dem Buch will die Extremismus- und Terrorismusforscherin deutlich machen, dass sich Menschen nicht plötzlich radikalisieren, sondern durch den Konsum toxischer Posts und Kampagnen im Netz über einen längeren Zeitraum in extreme Gruppen hineingezogen werden. Julia Ebner sagt, dass nach der Erfahrung, die sie in den Netzwerken gesammelt habe, der Prozess der Radikalisierung immer klar und schrittweise ablaufe.
Schema des Radikalisierungsprozesses
Der Prozess beginne immer mit der Rekrutierung von Mitgliedern, danach komme es schnell zu einem Sozialisierungsprozess, bei dem eine Subkultur - oft eine Gegenkultur zum Mainstream - aufgebaut und ein gemeinsamer Wortschatz und Witze entwickelt werden.
"Wir reden oft über Online-Radikalisierung, als ob das eine Black-Box sei, wo von heute auf morgen Radikalisierung stattfindet. In all diesen unterschiedlichen Gruppen von Islamisten, Verschwörungstheoretikern, Frauenfeinden und Rechtsextremisten ist Radikalisierung immer ein sehr klarer, schrittweiser Prozess."
Ausgehend von einer gemeinsamen Subkultur komme es zu den ersten Versuchen, sich international zu vernetzen und Kommunikationskampagnen zu starten, um neue Mitglieder anzuwerben. Mithilfe der Netzwerke würden dann häufig Mitglieder zu Offline-Protesten oder Demonstrationen mobilisiert. Der letzte Schritt in dieser Entwicklung sei dann ein tatsächlicher Angriff. Das bedeute, dass einzelne Mitglieder sich soweit radikalisieren, dass sie gewaltbereit werden, oder ganze Gruppen Anschläge planen.
Interventions- und Deradikalisierungsmodelle im Netz
Um diese Prozesse zu verhindern oder zu durchbrechen, brauche es einen vielschichtigen Lösungsansatz: Die Verantwortungsträger in der Politik sollten mehr Druck ausüben und die technischen und gesellschaftlichen Bereiche stärker regulieren. Es reiche nicht, gewalttätige Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Längerfristig müsste an den Algorithmen und den Geschäftsmodellen der Tech-Plattformen gearbeitet werden.
Denn Tech-Plattformen geben den extremen, verschwörungstheoretischen und gewalttätigen Inhalten Priorität, weil das Ziel der Plattformen sei, die Aufmerksamkeit der Nutzer möglichst lange an sie zu binden.
"Wir brauchen online Interventions- und Deradikalisierungsmodelle."
Um die Radikalisierungsmethoden bestimmter extremistischer Gruppen im Netz zu neutralisieren, hält Julia Ebner es für notwendig, dass es auch online Interventions- und Deradikalisierungsmodelle gebe. Offline gebe es in Deutschland gute Projekte, die es genauso gut online auf extremistischen Online-Plattformen und –Foren geben könnte, um einen Dialog mithilfe von ausgebildeten Psychologinnen und Aussteigern aufzubauen. Mit diesen Modellen könnten Mitglieder extremer Online-Gruppen aus der Radikalisieurng herausgeholt werden.