Extremsportler Maximilian Werndl hat fünf Jahre lang waghalsige Sprünge aus atemberaubender Höhe gewagt. Das Gefühl dabei hat ihn berauscht. Bis ihn die innere Unersättlichkeit zum Ausstieg getrieben hat.
"Die Menschen, die durch den Sport umgekommen sind, sind eine Art Mahnmal für mich geworden."
Maximilian Werndl hatte schon immer einen Hang zum Risiko und zum Extremen. Angefangen hat er mit Motorad- und Autorennen. Er liebt die Geschwindigkeit. Dann ist er aufs Fallschirmspringen umgestiegen. Eines seiner Highlights ist der Guinness-Rekord-Sprung in Kalifornien, als er in Los Angeles in der größten Formation der Welt gesprungen ist: "Da sind wir mit 100 Wingsuits aus fünf Flugzeugen gesprungen, das war spektakulär." Aber: Eine Springerin ist dabei ums Leben gekommen.
"Irgendwann war es halt soweit, dass mir der normale Fallschirmsprung aus dem Flugzeug nichts mehr gegeben hat und der nächste Step bevorstand."
Bei dem intensiven Gefühl, wie es Maximilian beschreibt, geht es nicht um Todessehnsucht. Fallschirmspringer oder Basejumper planen sehr genau, wie der Sprung abläuft, um alle Risiken auszuschalten. Es ist dieser Reiz, schier Unmögliches zu tun und zu beweisen, alles kontrollieren zu können.
"Unter Fallschirmspringern gibt es keine ungeplanten Sprünge, man versucht permanent alles, was schief gehen könnte, auszuschließen."
Maximilian hat Bauingenieurwesen studiert - also eher bodenständig-, ein Beruf in dem er immer noch arbeitet. Aber sein Hobby wurde immer gefährlicher: der Kick beim Fallschirmspringen war nicht mehr genug.
Beim Basejump ist dieser Reiz noch extremer als beim Fallschirmspringen. Denn Ziel eines Basejumpers ist, seinen eigenen Exit zu finden. Exit ist beim Basejump die Absprungstelle. Base setzt sich zusammen aus "building, antenna, span und earth".
Die Sucht nach dem Sprung
In Deutschland sind nur Gebäude oder Brücken für Basejumps möglich. Aber auch das ist schwierig, weil sie meist in Privatbesitz sind, sagt Maximilian. Aber nicht alle Exits sind erlaubt. Nur: Wenn ein Basejumper springen will, dann hält ihn nichts auf, dann springt er auch heimlich nachts, um den Sprung zu machen, sagt Maximilian. Aber dann folgen auch rechtliche Konsequenzen.
"In Frankreich werden illegale Basejumper sogar mit Handschellen abgeführt."
Sein höchster oder tiefster Sprung ist der Mont Blanc in Frankreich gewesen. Von dem felsigen Vorsprung im Mont-Blanc-Massiv, dem Aguille du Midi, ist Maximilian 3000 Meter in die Tiefe gesprungen und hat knapp drei Minuten gebraucht, um unten anzukommen.
"Ich stelle mich vorne an die Kante, schaue runter, warte die nächste Böe ab, warte dass es windstill ist und dann zähle ich für mich runter: three, two, one, go. Dann stoße ich mich vom Fels ab, warte, bis mich die Luft trägt und dann kommt erst dieses geile Gefühl hoch, dass alles an Bedeutung verliert und nur dieser Moment zählt, wenn man einen Fels entlang gleitet oder einen Hang hinunterschießt zwischen Bäumen durch oder an einem Busch vorbei."
Das geile Gefühl ist für Maximilian, dass nur der Moment zählt, die Aktion, die einstudierten Reflexe. "Der Kopf hält in diesem Moment an", sagt Maximilian. Aber: Je öfter er springt, desto weniger intensiv ist dieses Gefühl. "Wenn ich sage, ich fliege so zwischen 150 und 200 Stundenkilometern, dann ist das die normale Gleitgeschwindigkeit", erklärt Maximilian. Das intensive, geile Gefühl lässt sich nur wieder erzeugen, wenn der nächste Sprung noch spektakulärer wird.
"Ich konnte nicht aufhören, es war tatsächlich auch eine Sucht für mich."
Obwohl Freunde und Bekannte durch den Extremsport ums Leben gekommen sind, hat Maximilian weitergemacht. Denn die meisten Unfälle entstehen durch menschliches Versagen, wenn der Basejumper es übertreibt, zu eng an einem Felsen entlang fliegt oder einen Strömungsabriss provoziert, erklärt der 30-Jährige. Die Unfälle werden hinterher von den Basejumpern analysiert. Danach würde jeder denken, dass er vor diesen Fehlern gefeit sei, sagt Maximilian.
"Für mich war die reale Welt surrealer als die Zeit, die ich auf dem Berg verbracht habe. Ich konnte mich nicht mehr spüren, ich konnte den Moment nicht mehr wahrnehmen, das ging sogar soweit, dass ich Freunde verloren habe und nichts dabei empfunden habe, ich konnte nicht trauern."
Seine Sucht nach dem Sprung hat sich auf sein soziales Umfeld ausgewirkt. Seine Mutter hat sich teilweise von ihm abgewandt, weil sie den Sport, die Angst um ihren Sohn, nicht mehr ertragen hat. Selbst die Freundin ist auf Platz zwei hinter das Basejumping gerutscht.
"Meiner Freundin habe ich immer gesagt: Wenn du glaubst, dich dazwischen stellen zu können, dann musst du leider gehen."
Maximilian ist bis zu seinem letzten Sprung 2017 zwischen 1400 und 1500 mal gesprungen. Bis Sprung 950 hat er noch ein Logbuch geführt. Doch trotz der vielen Sprünge hat Maximilian eine innere Unzufriedenheit gespürt, die ihn zunehmend gequält hat. Schließlich hat er sich einem Coach anvertraut, um diese Unzufriedenheit abzulegen.
"Der Coach hat mir beim ersten Treffen gesagt: Maxi, du bist kein Basejumper, du bist ein ganz normaler Mensch und du bist sehr empfindsam, aber du bist süchtig. Das Basejumpen ist reine Kompensation, hör auf damit, sonst bringst du dich um."
Für Maximilian hat der Ausstieg aus dem Extremsport mit der psychischen und emotionalen Aufarbeitung begonnen. Er sagt heute, dass es ein Prozess gewesen ist, in dem er noch 70 bis 80 Sprünge gemacht hat, bevor er dann das letzte Mal gesprungen ist. Über diesen letzten Sprung ist eine Dokumentation entstanden.
"Ich wollte es erst nicht wahr haben. Ich habe meinen negativen Gefühle mit dem Extremsport betäubt. Das war eine Spirale, die sich immer schneller nach unten gedreht hat, die letzten Endes eine Sackgasse war. Als ich das erkannt habe, wusste ich, ich muss aufhören, sonst bin ich irgendwann tatsächlich tot."
Gegenüber seiner Freundin sind die Gewissensbisse immer größer geworden. Heute sagt Maximilian, dass ihm sein Verhalten "extrem leid" tut, dass es nicht schön von im war.
"Ich spüre auch jetzt erst wieder, was ich ihnen damals angetan habe."
Seit Maximilian weiß, dass er Basejump nur gemacht hat, um negative Gefühle zu überschreiben, und sich diesen jetzt stellt, seit er mit dem Extremsport aufgehört hat, ist sein Leben einfacher und leichter geworden.
"Für jeden Blödsinn hat man eine Bedienungsanleitung, aber keiner weiß, wie er mit seinen eigenen Emotionen umgehen soll."
"Leute, die schon so weit gegangen sind, dass sie sich an eine Felskante stellen und runterspringen, die haben ja schon einige Schwellen überschritten, das sind eigentlich permanent Sich-Selbst-Suchende, Grenzsuchende, vielleicht auch Sinnsuchende, die würden nie aufhören damit." Er rät jedem Extremsportler sich zu hinterfragen, warum er sich eigentlich dem Risiko aussetzt.
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