Der Mensch ist auf den Hund gekommen, hat in der Steinzeit das Wildtier Wolf zum Haustier und Jagd-Gefährten domestiziert. Evolutionsbiologe Josef Reichholf sagt: Genau andersherum war's! Wölfe haben den Prozess der Hundwerdung selbst angestoßen.
Die Beziehung zwischen Mensch und Hund ist einzigartig. Zwar leben auch andere Tiere als Nutz- oder Haustiere mit Menschen zusammen, aber das Verhältnis zwischen Hund und Mensch ist einzigartig. Josef Reichholf sagt, klar, es handelt sich dabei um eine Symbiose, aber diese bedarf weiterer Erklärung. Wo nimmt diese Symbiose ihren Anfang?
"Es lässt sich sehr schwer festlegen, wann die Hundwerdung des Wolfes eigentlich begonnen hat."
Laut Reichholf ist die Genetik von Wölfen und Hunden nur bedingt hilfreich, um besser zu verstehen, wie die Hundwerdung vor sich gegangen ist. Genetisch ließen sich Hunde und Wölfe nicht unterscheiden, zum allergrößten Teil seien sie genetisch deckungsgleich.
Wolfunterarten und ihre Genetik
Gleichzeitig gebe es beim Wolf als biologische Art sehr ausgeprägte Unterarten, die sich untereinander genetisch stärker unterschieden als es genetische Unterschiede bei den Hunderassen gibt.
"Wie sollten nomadisch lebende Steinzeit-Jäger langfristige Zuchten zuwege bringen, ohne eine Zielvorstellung gehabt zu haben?"
Bislang ging man davon aus, dass Jäger und Sammler in der Steinzeit angefangen haben, Wölfe zu domestizieren. Diese hätten dann, bei der Jagd auf große Tiere, Gemeinschaften gebildet. Reichholf glaubt das nicht, gerade die Lebensweise als Jäger und Sammler sieht er als stärkstes Gegenargument.
Wölfe mit Annäherungstendenzen
Er setzt dem folgende These entgegen: Bestimmte Wölfe hätten sich demnach dem Menschen selbst angenähert und so die eigene Hundwerdung angestoßen.
"Es lässt sich mit hinreichender Plausibilität behaupten, dass die Wölfe zu den Menschen gekommen sind."
Seine Überlegung: Da die effizient jagenden Steinzeit-Menschen Großtiere wie Mammuts nach und nach ausrotteten, sei eine biologisch-ökolögische Sonderung in Gang gesetzt worden. So habe ein Teil der Wölfe effizientere Jagdmethoden entwickelt, ein anderer sei näher an die jagenden Menschen herangerückt - mit dem Ziel, die Abfälle der von den Menschen erlegten Tiere zu verwerten. In dieser Funktion als Abfallverwerter der menschlichen Jäger habe der Wolf seine Hundwerdung selbst initiiert.
Josef H. Reichholf ist Evolutionsbiologe und Professor für Ökologie und Naturschutz an der Technischen Universität München. Bis 2010 hat er die Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München geleitet. 2020 erschien sein Buch "Der Hund und sein Mensch. Wie der Wolf sich und uns domestizierte". Seinen gleichnamigen Vortrag hat er am 9. Mai 2023 auf Einladung des Einstein Forums in Potsdam gehalten.