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Das Becken der Frau ist im Laufe der Evolution nicht wesentlich breiter geworden – obwohl der Geburtskanal sehr eng ist. Für die Frau ist eine Geburt deswegen schmerzhaft und manchmal unmöglich. Österreichische Wissenschaftler haben jetzt eine gewagte These. Sie sagen: Ein schmales Becken fördert die Erektion beim Mann und damit die Fortpflanzung.

Nicole Grunstra, Anthropologin am Naturhistorischen Museum in Wien, beschäftigt sich vor allem mit der Evolution und hat an einer gerade veröffentlichten Studie mitgearbeitet. Grunstra und ihre Kollegen haben sich die Frage gestellt: Wenn doch die Geburt sehr schmerzhaft ist und ein breiteres Becken besser wäre, warum hat sich das im Laufe der Evolution nicht angepasst? "Das ist nicht passiert", sagt die Anthropologin, "und das erzählt uns also, dass es einen entgegenwirkenden Selektionsdruck geben muss."

Gängige These: Der aufrechte Gang bedingt ein schmales Becken

Eine bisher sehr verbreitete Hypothese geht davon aus, dass wir dank eines schmalen Beckens gut aufrecht gehen können. Wir sind die einzigen Primaten, die immer aufrecht gehen. "Damit wir das machen können, mit weniger Energieleistung und so effizient wie möglich – dabei ist ein schmales Becken hilfreich", so Grunstra. Sie ergänzt aber auch, dass diese These nicht sonderlich gut gestützt sei.

"Für die Evolution ist das schwierig: Auf der einen Seite soll das Becken schmal sein und auf der anderen Seite breit genug."
Nicole Grunstra, Anthropologin am naturhistorischen Museum in Wien

Eine andere These geht davon aus, dass ein schmales Becken auch einen besseren Beckenboden begünstigt. Und der ist wiederum hilfreich, wenn wir unseren Körper die ganze Zeit aufrecht halten. Durch die Schwerkraft und das Gewicht der Organe lastet nämlich ein ziemlicher Druck auf dem Beckenboden.

Die Forscher schlagen für ihre neue Theorie nun den Bogen zur Anatomie der Fledermaus. Fledermäuse bringen – im Vergleich zur eigenen Körpergröße – die größten Babys auf die Welt. "Es gibt manche Arten, wo das Neugeborene 20,30 oder sogar 45 Prozent des Gewichts der Mutter hat. Das ist unglaublich viel", sagt Nicole Grunstra.

"Stellen Sie sich mal vor, ein 30-Kilo-Baby zu gebären. Das ist natürlich unglaublich."
Nicole Grunstra, Anthropologin am naturhistorischen Museum in Wien

Die Anthropologin hat sich dann gefragt: "Okay, wie sehen die Becken der Weibchen aus? Wie schaffen die das überhaupt?" Und dann hat sie festgestellt, dass die Becken der Fledermausweibchen immer offen sind. "Das ist ein sehr großer Vorteil, denn wenn es immer offen ist, gibt es mehr Platz," sagt sie. Die meisten Fledermäuse – wenn sie nicht gerade fliegen – hängen kopfüber. Das bedeutet, die Schwerkraft des Körpergewichts lastet nicht auf dem Beckenboden, sondern auf dem Kopf. Das bedeutet: Bei anderen Tieren hat die Evolution durchaus das Becken an die Geburt angepasst. Die Forscher wollen nun weitere Tiere untersuchen, um irgendwann möglicherweise Rückschlüsse ziehen zu können, was beim Menschen so anders ist.

Ein starker Beckenboden fördert die Erektion beim Mann

Ein weiterer Aspekt, mit dem sich eine Kollegin von Nicole Grunstra beschäftigt, ist die weibliche Anatomie des Beckenbodens im Zusammenhang mit der männlichen Erektion. Nicole Grunstra erklärt: "Ein starker Beckenboden begünstigt die Erektion bei Männern. Es ist so, dass die Erektion bei mehr Männern überhaupt stattfindet, wenn das Becken schmal ist, weil das heißt, dass der Beckenboden stark ist."

Die Forscher haben aus diesen Zusammenhängen nun die Hypothese entwickelt, dass die Erektion des Mannes der anfangs erwähnte "gegenwirkende Selektionsdruck" ist. Die Hypothese der Forscher ist noch so frisch, dass es bisher noch gar keine Beweise dafür gibt. "Wir müssen noch anfangen, dazu zu forschen", sagt Nicole Grunstra. Die Forscher gehen bei ihrer These aus von einem aktuellen Problem in der Medizin: Das Becken der Frau sei heute nämlich oft zu klein für eine erfolgreiche Geburt.

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Shownotes
Neue Studie zur Evolution
Warum das weibliche Becken nicht breiter wurde
vom 08. März 2019
Gesprächspartnerin: 
Nicole Grunstra, Anthropologin am Naturhistorischen Museum in Wien
Moderator: 
Thilo Jahn