Einst war der Evangelikalismus in den USA ein Motor für Demokratie. Heute hat sich der religiöse Glaube in eine fundamentalistische und antidemokratische politische Haltung gewandelt. Ein Vortrag des Amerikanisten Johannes Völz.
Am 6. Januar 2021 stürmte eine wütende Menge das Kapitol in Washington. Donald Trump hatte die Präsidentschaftswahl verloren, der Mob wollte das nicht anerkennen und die offizielle Bestätigung des Wahlergebnisses verhindern. In der Menge waren auch viele christliche Symbole zu sehen, Trump wurde mit Jesus verglichen.
Zum medialen Symbol der Stürmung wurde der Verschwörungserzähler und selbst ernannte QAnon-"Schamane" Jake Angeli – unverkennbar durch seine Bisonhörner, seine Gesichtsbemalung und den nackten Oberkörper.
QAnon-"Schamane" betet im Senat
In der Kammer des US-Senats stimmte Jake Angeli ein Gebet an, das von seinen Anhängern inbrünstig beantwortet wurde, erzählt Johannes Völz. Völz ist Professor für Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und forscht zum Thema Demokratie.
Interessant sei, so Völz, dass Jake Angeli aus dem Stand die Sprache des zeitgenösssichen Evangelikalismus gesprochen habe.
"Die gegenwärtige Spielart des politisch aufgeladenen Evangelikalismus bezeichnen Religionsforscher als weißen christlichen Nationalismus."
Das Gebet im US-Senatssaal ist ein Beispiel dafür, wie stark heute der religiöse Evangelikalismus in den USA mit politischen Überzeugungen verschmolzen ist. Evangelikalismus ist längst mehr als nur ein religiöser Glaube, argumentiert Völz in seinem Vortrag.
Evangelikalismus als antidemokratische Haltung
Er sei zu einer fundamentalistischen, antidemokratischen politischen Haltung geworden: Religion und Politik ließen sich nicht mehr voneinander trennen.
"Viele, wenn auch nicht alle, der evangelikalen Wählerinnen und Wähler sind längst politisiert. Ihre religiöse und politische Identität lassen sich nicht mehr voneinander trennen. Sie sind religiös und konservativ zugleich."
Früher trugen evangelikale Strömungen wesentlich zur Demokratisierung der USA bei. In seinem Vortrag erzählt Völz, warum sich das geändert hat, wann im Evangelikalismus die demokratische Grundhaltung in eine fundamentalistische Einstellung umkippte und wieso der radikale antidemokratische Konservatismus mittlerweile den Mainstream der Republikanischen Partei ausmacht.
Johannes Völz ist Professor für Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sein Vortrag hat den Titel "Evangelikalismus in den USA: Lebensformen zwischen Demokratie und Autoritarismus". Er hat ihn am 04. Dezember 2023 in Bad Homburg gehalten.
Der Vortrag ist Teil der Vortragsreihe "Was heißt 'Demokratische Lebensform'?" des Projekts "Democratic Vistas. Reflections on the Atlantic World" am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.