Nach monatelanger Verzögerung geht sie am 1. Juni 2021 offiziell an den Start: die Europäische Staatsanwaltschaft (EuStA), eine EU-Behörde, die über nationale Grenzen hinweg gegen Korruption, Bestechung und Geldwäsche kämpfen soll. Wie kann das funktionieren?
Eigentlich sollte die EuStA oder englisch EPPO (European Public Prosecutor’s Office) schon im November an den Start gehen, nach jahrelanger Planung. Aber der Start hat sich verzögert, unter anderem, weil es in manchen Ländern noch Ärger um Posten gab.
Die Luxemburger Behörde unter Leitung der Europäischen Generalstaatsanwältin Laura Codruta Kövesi, einer rumänischen Juristin und Korruptionsbekämpferin, soll gegen Delikte zu Lasten des EU-Haushaltes vorgehen. Die Ermittlerinnen und Ermittler sind dabei mit beispiellosen Befugnissen ausgestattet und können schneller agieren als ihre nationalen Kolleg*innen. Jedes teilnehmende EU-Land entsendet eine Staatsanwältin oder einen Staatsanwalt zur gemeinsamen Behörde nach Luxemburg.
"Wir sind tatsächlich ein Versprechen an Europas Bürger, dass letztendlich jeder Euro, der aus dem Bundeshaushalt nach Europa geht – wenn wir jetzt vom deutschen Steuerzahler ausgehen – auch tatsächlich dazu verwandt wird, wozu er gedacht war."
Ein Fall, wo die europäische Staatsanwaltschaft tätig werden könnte, wäre zum Beispiel der des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš, erklärt Peter Kapern, Deutschlandradio-Korrespondent in Brüssel. Der Politiker steht nämlich im Verdacht, sich als Ministerpräsident und gleichzeitig als einer der größten tschechischen Unternehmer, unerlaubt EU-Subventionen unter den Nagel gerissen zu haben.
Der EU fehlen Milliarden
Ein anderer Fall könnten die "Umsatzsteuerkarussells" sein, mit denen grenzüberschreitend Geschäfte gemacht werden, erklärt Peter Kapern. Die Unternehmen, die daran beteiligt sind, lassen sich von ihren jeweiligen Finanzämtern immer die Umsatzsteuer, die sie angeblich bezahlt haben, zurückerstatten. Am Ende stellt sich heraus, dass die Rückerstattung viel größer war als das, was jemals an Steuern bei den Finanzämtern in Europa angekommen ist.
"Die Verluste, die man zu Lasten der europäischen Kassen taxiert, liegen jährlich irgendwo zwischen 500 Millionen Euro und 50 Milliarden Euro. Darum geht es."
Die Summe der Verluste, die die europäischen Kassen durch solche illegalen Geschäfte einstreichen, lägen zwischen 500 Millionen Euro und 50 Milliarden Euro pro Jahr. Es gehe der Europäischen Staatsanwaltschaft also nicht um Betrug und Korruption allgemein, sondern um die Fälle, die dem EU-Haushalt Schaden zufügen.
Vertrauen in die EU stärken
Die neue Behörde soll das Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union stärken. Denn die EU stehe ja "immer ein bisschen unter dem Generalverdacht, nicht gut genug auf die Flöhe aufzupassen, die Sie da von den Steuerzahlern übermittelt bekommt", sagt Peter Kapern. Das liege vor allem am derzeit gültigen System: Für die Betrugsbekämpfung gibt es zwar das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF). Wenn Betrugsverdachtsfälle dann aber vor Gericht gebracht werden sollen, muss sich OLAF auf die Gerichte und Staatsanwaltschaften in den einzelnen Mitgliedstaaten stützen. Und da seien einige Länder eben engagiert und andere weniger.
"Die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft ist ein wirklich historischer Schritt – es ist die erste supranationale Staatsanwaltschaft der Welt."
Peter Kapern nennt die Etablierung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, die grenzüberschreitend in solchen Fällen ermittelt, einen historischen Schritt – denn es sei die erste supranationale Staatsanwaltschaft der Welt.
Warum erst jetzt?
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen würden von praktisch allen EU-Mitgliedstaaten als Kernbereich nationaler Angelegenheiten betrachtet, sagt Peter Kapern. Diese ließen sie sich nicht so gerne wegnehmen. Das Gerangel um diese Kompetenzen, um die nationalen Zuständigkeiten, deswegen habe es so lange gedauert, wenigstens den Konsens der allermeisten EU-Staaten herzustellen. Den Konsens darüber, wenigstens bei grenzüberschreitender Kriminalität zu Lasten der EU-Kassen in einer gemeinsamen Behörde zusammenzuarbeiten.
Fünf EU-Staaten machen nicht mit
Nicht alle EU-Mitgliedstaaten machen mit: Polen, Irland, Schweden, Dänemark und Ungarn sind nicht daran beteiligt. Das Argument, das sie anführen, ist das gerade genannte: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien der Kernbereich der nationalen Autonomie. "Das ist ärgerlich", findet Peter Kapern. Auf diesen Ländern laste ein "moralischer Öffentlichkeitsdruck", sich dieser Sache doch noch anzuschließen.
"Polen, Irland, Schweden, Dänemark und Ungarn – diese fünf Länder stehen jetzt ein wenig am Pranger. Auf ihnen lastet ein moralischer Öffentlichkeitsdruck, sich dieser Sache doch noch anzuschließen."
Polen, Irland, Schweden, Dänemark und Ungarn ständen etwas am Pranger. Es sei "garantiert kein Aushängeschild" für diese Staatsanwaltschaften, dass diese Länder nicht mitmachen, so unser Korrespondent.
Doch auch ohne die Europäische Staatsanwaltschaft bestehe eine – "wenn auch zögerliche, langwierige, komplexe" – justizielle Zusammenarbeit mit diesen Ländern. Wenn also beispielsweise ein Gericht in Berlin die Hilfe eines Staatsanwalts in Budapest braucht, dann kann es diese durchaus in die Wege leiten – es dauert nur ewig und ist ein schwieriges administratives Verfahren, so Peter Kapern. Genau dieses will die europäische Staatsanwaltschaft ja vereinfachen.