Die Türkei schwächt die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Kurz danach besuchen die EU-Chefs den Präsidenten Erdogan. Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley übt im Deutschlandfunk-Nova-Interview Kritik, vor allem an der Türkei.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel sind gestern (6. April) nach Ankara gereist und haben sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen.
Erst im März war die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Und die Staatsanwaltschaft hat ein Verbot der prokurdischen Partei HDP eingeleitet.
Ob für den Besuch von von der Leyen und Michel womöglich der falsche Zeitpunkt gewählt wurde – darüber hat Deutschlandfunk-Nova-Moderator Till Haase mit der SPD-Politikerin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley gesprochen.
Till Haase: Frau Barley, hatten Sie Befürchtungen vor diesem Treffen und haben die sich bewahrheitet?
Katarina Barley: Wir sind interessiert an guten Beziehungen zur Türkei, und Diplomatie ist immer ein gutes Mittel. Ob der Zeitpunkt gut gewählt ist, daran haben wir Zweifel. Der Austritt aus der Istanbul-Konvention war ein demonstrativer Akt. Unmittelbar danach nach Ankara zu reisen, auch gerade, wo das Verbot der prokurdischen Oppositionspartei im Raum steht, war kein guter Start.
Wirtschaftliche Beziehungen mit in Menschenrechtsfragen eher schwierigen Ländern unterhält die Europäische Union ja nicht nur mit der Türkei.
Ja, aber Diplomatie heißt, dass man miteinander redet, auch mit schwierigen Regimen. Das ist auch richtig und wichtig so. Und die Türkei ist ein wichtiger Partner, ein wichtiges Nachbarland. Reden muss man gerade deswegen, weil die Spannungen in der letzten Zeit sehr groß waren, gerade mit Griechenland, als es um die Gasvorkommen im Mittelmeer ging. Da hat es erhebliche Fortschritte gegeben, man kann also auch gewisse positive Signale sehen.
Aber wie gesagt: Fast schon provokative Akte unmittelbar vor diesem Besuch – das gibt großen Anlass zur Sorge.
Was wären denn in ihren Augen das richtige Vorgehen gewesen? Gar nicht hinreisen? Heimlich hinfahren und keine Pressefotos zulassen?
Die Verbindungen sind ja immer da. Die Frage ist nur, ob man das mit Besuchen auf höchster Ebene adelt. Die Fortschritte bei den Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei, die automatisch auch die EU betreffen, zu betonen, war sicherlich richtig. Aber ich hätte mir schon gewünscht, dass erst klarere Fortschritte auch auf anderen Gebieten, vor allen Dingen bei Menschenrechten, eingefordert worden werden.
Die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sind ja schon seit etwas längerer Zeit schwierig. Es gab aber mal eine Zeit, in der sogar über einen EU-Beitritt der Türkei geredet wurde. Es gab die Zeit der privilegierten Partnerschaft. Was halten Sie für realistisch?
Das hängt sehr stark davon ab, in welche Richtung sich die Türkei bewegt. Die türkische Regierung ging lange Zeit einen sehr guten Weg. Seit 1995 gibt es die Zollunion mit der Türkei. Es gibt ganz enge wirtschaftliche Beziehungen. Die Türkei exportiert 40 Prozent ihrer gesamten Wirtschaftsleistung in die EU. Insofern sind die Verbindungen schon lange sehr eng.
Aber Erdogan hat sich seit einigen Jahren auf einen demonstrativen Kurs weg von der EU begeben. Und solang er das tut, solang er auch demonstrativ den europäischen Standard an Menschenrechten nicht einhält, solang ist sicherlich keine Annäherung möglich.
Glaubt denn in Brüssel überhaupt noch jemand an den EU-Beitritt der Türkei?
Im Moment ist das überhaupt kein Thema. Aber ganz vom Tisch wischen sollte man so etwas nie. Die Türkei ist wie gesagt ein sehr wichtiges Land, und wir hatten da auch schon mal deutliche Fortschritte gesehen. Aber im Moment ist das kein Thema.
Also nicht mit Recep Tayyip Erdogan?
So, wie er handelt, ist das völlig undenkbar.