Deutschlandfunk-Nova-Reporter Bastian Kaiser ist mit einem Kollegen in die Hochburgen der EU-Skeptiker in Europa gereist und hat festgestellt: Die Gründe, warum Menschen die EU kritisch sehen oder ablehnen, sind sehr unterschiedlich.

Bei der Ende Mai 2019 stattfindenden EU-Wahl können europaskeptische und rechtspopulistische Parteien wie die AfD in Deutschland, die Lega in Italien oder Rassemblement National in Frankreich mit Stimmenzuwachs rechnen. Das zeigen aktuelle Umfragen.

Ostdeutschland, Südschweden und Norditalien – die Gründe für Kritik an der EU sind unterschiedlich

Reporter Bastian Kaiser ist gemeinsam mit Tobias Dammers in Regionen der EU gereist, in denen europakritische Parteien besonders beliebt sind. Sie waren zum Beispiel in Schönbach in Sachsen, an der Grenze zu Tschechien. Hier hat die AfD bei der letzten Bundestagswahl fast 47 Prozent geholt. Ähnliche Orte haben die beiden Journalisten auch in Frankreich, Italien, Schweden und Ungarn ausgesucht. Sie sind dorthin gereist, wo europakritische Parteien bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen bekommen haben.

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Die Leute, die Bastian Kaiser und Tobias Dammers angesprochen haben, sind zunächst ziemlich misstrauisch gewesen, sagt Bastian Kaiser im Interview. Und einige haben erst gar nicht mit den Journalisten sprechen wollen.

"Viele Leute waren erst einmal ziemlich misstrauisch. Einige wollten auch gar nicht mit uns reden."
Bastian Kaiser, Journalist

Erik aus Schönbach in Sachsen

Einer, der bereit für ein Gespräch war, ist der 33-jährige Autolackierer Erik – er ist der Meinung, dass die EU ihm nichts bringt. Erik sagt, dass die Europäische Union zu einem "Großdenken" geführt habe. Er fände es sinnvoller, regionaler zu denken.

"Die EU … gar nichts. Wir müssen doch erst mal in Deutschland anfangen, nicht in der EU. Im eigenen Land, nein, im Landkreis. Wir müssen ganz klein anfangen. Dieses Großdenken hat uns dieses Ganze beschert. Wieso bauten VW ein Werk in der Slowakei oder sonst wo? Das könnte alles bei uns sein. Das ist der Nachteil an der EU."
Erik, 33, äußert seine Gedanken zur EU

Die Arbeitslosenquote in der Gegend von Schönbach liegt bei 8,5 Prozent und damit deutlich über dem Bundesschnitt. Eine weitere große Sorge von vielen, mit denen die Reporter gesprochen haben, ist die sogenannte Grenzkriminalität. Laut der sächsischen Kriminalstatistik war diese aber zuletzt (2017) so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr, ordnet Bastian Kaiser die Befürchtungen der Befragten ein.

Sebastian aus Östra Ljungby in Südschweden

Auch in Südschweden waren Bastian Kaiser und Tobias Dammers unterwegs. Eine Autostunde von Malmö entfernt, liegt der Ort Östra Ljungby. Das ist eine Gemeinde mit 1800 Einwohnern. Hier haben die rechtspopulistischen Schwedendemokraten zuletzt 40 Prozent geholt. Die Arbeitslosenquote liegt deutlich unter Landes- und EU-Schnitt. Das mache die EU aber nicht zwangsläufig beliebter, sagt Bastian Kaiser.

Das bestätigte den beiden Journalisten auch der zwanzigjährige Sebastian, der in einer Pizzeria in Östra Ljungby jobbt. Wenn er etwas von der EU mitbekomme, dann sei das meist negativ und finde in den sozialen Medien statt. Insbesondere die Gelder, die an die EU fließen, sind für Sebastian Grund zur Kritik.

Sebastian aus Östra Ljungby in Südschweden
Sebastian arbeitet in einer Pizzeria in Südschweden
"Dass Schweden raus sollte aus der EU. Es sind eine Menge negativer Sachen, die man in sozialen Medien liest: 'All das Geld geht dorthin', 'wir haben kein Geld', 'wenn wir die EU verlassen, sparen wir Geld'. Und du denkst dir so: Okay."
Sebastian, 20 bezieht Informationen vornehmlich aus sozialen Netzwerken

Tatsächlich ist es so, dass Schweden pro Kopf am meisten in die EU einzahlt – rund 139 Euro im Jahr. Vor der schwedischen Reichstagswahl im vergangenen Herbst haben die Schwedendemokraten auch noch Wahlkampf mit einem möglichen "Swexit" gemacht, also einem Austritt Schwedens aus der EU. Mittlerweile seien sie aber der Ansicht, dass sie die EU nicht abschaffen, sondern lieber "von innen heraus verändern" möchten, sagt Bastian Kaiser.

Giulia aus Vigolo in Norditalien

Das norditalienischen Vigolo ist ein Ort mit 58 Prozent Support für die rechtspopulistische Lega. Hier ist die EU-Befürworterin Giulia unterwegs. Giulia studiert in Bergamo, der nächsten größeren Stadt. Ihr Uniumfeld, so Giulia, habe einen Einfluss darauf, wie sie die EU sehe. In dem kleinen Ort Vigolo selbst hätten die Älteren kein Interesse daran. Giulia glaubt, dass diese Menschen lieber in ihrer eigenen Welt blieben, dass es aber für jüngere einfacher sei, an der EU positive Aspekte zu erkennen.

Giulia in einem Vereinsheim in Vigolo in Norditalien
© Deutschlandfunk Nova | Bastian Kaiser
Giulia in einem Vereinsheim in Vigolo in Norditalien
"Vielleicht weil es so ein kleiner Ort ist, haben ältere Leute kein Interesse daran, die EU zu erkunden. Ältere Menschen fühlen sich nicht so europäisch wie die jungen. Sie reisen nicht viel außerhalb Italiens. Für junge Leute ist es einfacher, die EU als eine positive Sache zu sehen. Zum Beispiel die Chance, neue Leute kennen zu lernen."
Giulia studiert in Bergamo und sieht die EU positiv

Insgesamt deckt sich der Eindruck von Giulia mit den Umfrageergebnissen zur Altersstruktur von EU-Befürwortern und EU-Gegnern, sagt Bastian Kaiser. Denn laut Umfrageergebnissen sind die unter 24-Jährigen im Schnitt pro-europäischer als ältere Generationen. Allerdings wüssten sie auch gleichzeitig weniger über die EU.

Hinweis: Diese Recherche wurde durch ein Stipendium des Vereins "Fleiß und Mut" der unabhängigen Stiftung Mercator unterstützt.

Shownotes
EU-Kritik
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die keine sein wollen
vom 14. Mai 2019
Moderatorin: 
Tina Kießling
Gesprächspartner: 
Bastian Kaiser, Deutschlandfunk-Nova-Reporter