Es geht um 1,8 Billionen Euro: Darin enthalten ist der EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre, aber auch Corona-Hilfsgelder, die ab Januar an die Mitgliedstaaten fließen sollen. Doch Polen und Ungarn legen ihr Veto ein. Dabei geht es ihnen eigentlich um etwas anderes: nämlich den Rechtsstaatsmechanismus. Den lehnen beide Länder ab, so Kai-Olaf Lang, von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Heute (19. November) schalten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen und -Kolleginnen per Video zusammen.
Im Juli hatte man sich innerhalb der EU auf den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus geeinigt. Ziel ist es: Wenn EU-Länder ihren Rechtsstaat demontieren, kann die EU etwas dagegen tun und muss nicht nur zuschauen. Sie kann dann mit finanziellen Sanktionen reagieren.
Dieses neue Instrument sieht drei Schritte vor, so Kai-Olaf Lang:
- Zunächst stellt die EU-Kommission fest, dass in einem EU-Mitgliedstaat die Rechtsstaatlichkeit ernsthafte Mängel aufweist. Dass eben der Rechtsstaats teils unter Druck gerät.
- Es gibt einen Dialog mit den betreffenden Ländern, die dazu Stellung nehmen und auch die Mängel beheben können.
- Bleiben die Mängel und die EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Rechtsstaatlichkeit nicht vollständig gewährleistet ist, dann kann sie sich an den EU-Rat wenden und einen Zustimmungsbeschluss fordern, um finanzielle Sanktionen durchzusetzen. Diesen Beschluss kann das betroffene Land durch eine Speerminderheit ablehnen. Aber dafür braucht es die Unterstützung von 13 anderen EU-Ländern oder so viele Länder, die insgesamt 25 Prozent der EU-Bevölkerung abbilden.
Streit um den Rechtsstaatsmechanismus
Der Rechtsstaatsmechanismus konnte mit einer einfachen Mehrheit umgesetzt haben. Polen und Ungarn lehnen das Instrument aber ab und versuchen über den EU-Haushalt Druck auszuüben.
"Weil Polen und Ungarn den neuen Mechanismus nicht verhindern konnten, zielen sie jetzt auf den EU-Haushalt und die sogenannten Corona-Hilfen ab."
Polen und Ungarn haben ihr Veto eingelegt. Und das geht, denn beim EU-Haushalt gilt Einstimmigkeit. Das heißt, die beiden Länder können die wichtigen Hilfen stoppen.
"Beim EU-Haushalt gilt Einstimmigkeit. Damit haben Polen und Ungarn einen mächtigen Hebel in der Hand."
Um aus der Blockade herauszukommen, sieht Kai-Olaf Lang zwei Szenarien:
- Ungarn und Polen halten an ihrer Blockadehaltung fest. Dann könnten die anderen 25 EU-Staaten die Corona-Hilfen, die als Wiederaufbau-Fonds bekannt sind, quasi außerhalb der EU auf die Beine stellen und an die Länder auszahlen – eben ohne Polen und Ungarn. Das Verfahren sei aber komplex und koste viel Zeit, so Kai-Olaf Lang. Der jetzige Haushalt würde dann als Provisorium ab 2021 weiterlaufen.
- Die Länder bleiben im Dialog und es gibt intensive Verhandlungen. Beim nächsten EU-Gipfel im Dezember könnte es zu einer Zusatzerklärung kommen. Darin könnten die Länder nochmal festhalten, dass der Rechtsstaatsmechanismus nicht politisch motiviert ist und nicht darauf abzielt, einzelne Länder zu diskriminieren.
Wichtig sei jetzt eine Lösung zu finden, bei der alle ihr Gesicht wahren können, so Kai-Olaf Lang. Aber dass der Rechtstaatsmechanismus wieder abgeschafft wird, hält der Politikwissenschaftler für unwahrscheinlich.