Nichts beim Essen ist mehr so, wie es einmal war. Früher wurde am Tisch gegessen, mit der ganzen Familie und zu einer bestimmten Uhrzeit. Heute beißen wir ins Schokocroissant und hetzen dabei über die Straße. "Je unregelmäßiger der Job, desto häufiger der Snack", sagt der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl in seinem Vortrag.
Wie isst man richtig? Diese Frage durchzieht den Vortrag des Ernährungssoziologen Daniel Kofahl. Er berichtet, dass weltweit die meisten Menschen mit den Fingern essen, gefolgt von Stäbchen. Und warum greifen ausgerechnet wir zu der Sonderform Messer und Gabel? Weil "bessere Leute" sich im Mittelalter mit dem Besteck von niederen Schichten abheben wollten.
Aus Hunger wurde Appetit
Daniel Kofahl weist darauf hin, dass wir hierzulande bis in die 1950er hinein noch Hunger hatten. Heute hätten wir Appetit, vor allem, weil die Nahrungszubereitung immer mehr verfeinert und zum Genuss hochstilisiert werde.
Aus Essen wird Religion
Der Ernährungssoziologe berichtet außerdem über die Philosophie der diversen veganen, vegetarischen, flexitarischen und Fleisch essenden Fraktionen, wie er sie nennt. In Wirklichkeit sei Essen mittlerweile zu einer Religion geworden, bei der jeder Recht haben wolle. So werde die vegane Welle, die es nach seiner Ansicht gar nicht mehr gibt, mit religiösen Motiven verknüpft.
"Im Jenseits werden wir unendlich leben. Die neuen veganen Kochkonzepte versprechen uns das schon fürs Diesseits: Wir werden alle jung, wir werden alle schön!"
Daniel Kofahl zitiert Schlagzeilen und Zahlen, wonach der Höhepunkt des Veggie-Trends bereits seit 2015 vorbei sei. Vegane Supermärkte floppten und mussten schließen, Veggie-Produzenten zögen sich schon wieder aus diesem Marktsegment zurück. Erfolgsmeldungen der veganen Fraktion bezeichnet er als "Green-Washing", das ausschließlich dazu diene, das eigene Gewissen zu beruhigen.
Essen-Tabus über Bord
Der neueste Clou sei der, sich als "Flexitarier" zu bezeichnen. Etwas, das es ohne diese neudeutsche Wortkreation schon immer gegeben habe. Jedem das Seine, sagt Daniel Kofahl. Man könne schließlich alles essen.
"Menschen haben schon alles Mögliche gegessen. Sie haben in Krisenzeiten Holzspäne gegessen, Baumrinde, Kieselsteine, Wachskerzen. Oder sie haben Menschen gegessen."
Was gestern essbar war, könne heute schon wieder nicht mehr essbar sein und morgen eine Delikatesse, meint der Forscher und schaut sich die Streitigkeiten ums richtige Essen aus Forscherperspektive sehr gelassen an - egal, welche angeblichen Weisheiten die Anhänger einer bestimmten Esskultur gerade verkünden.
Daniel Kofahl hat in der Reihe "Esskultur-Perspektiven auf Geschmack und Ernährung in einer globalisierten Welt" am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen gesprochen. Der Titel seines Vortrags am 26. April 2018 lautete: "Geschmacksbildung - Soziokulturelle Prägung des Geschmacks".
Der Ernährungssoziologe forscht und lehrt vor allem an der Universität Wien und der Technischen Universität Berlin. Er leitet zudem das Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK) und war als unabhängiger Gutachter für das Bundes-Bildungsministerium tätig.
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