Schützengräben, Nationen im Krieg, Kriegshetze. Eine Frage aber bewegt die Menschen aller am Krieg beteiligten Länder: "Wie geht es meinem Geliebten, meinem Ehemann, meinem Vater, meinem Bruder?" Kriegsgefangenschaft war ein europaweites, ja sogar weltumspannendes Phänomen, noch viele Jahre nach Beendigung der Kriegshandlungen. Sieben bis neun Millionen Männer waren Gefangene verfeindeter Nationen. Es ist erstaunlich, wie viele Aspekte der Kriegsgefangenschaft wir nicht kennen. Der Historiker und Migrationsforscher Jochen Oltmer spricht darüber.
Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg lohnt es sich, diese halb vergessenen Geschichten anzuhören. Dabei ist die Forschung zu diesem Thema alles andere als einfach: Viele Unterlagen sind verloren gegangen. Aber das reizt Historiker natürlich, die auf andere Weise nach Quellen suchen.
"Das, was in Deutschland an militärischen Unterlagen den Ersten Weltkrieg betreffend zusammengetragen wurde, ist in Berlin 1945 verbrannt."
Jochen Oltmer forscht seit Jahrzehnten zu Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg. Und er erzählt uns erstaunliche Geschichten. Die internationalen Abkommen zum Umgang mit Kriegsgefangenen waren noch stark unterentwickelt, vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges rechneten die beteiligten Nationen auch überhaupt nicht mit dieser großen Zahl von Kriegsgefangenen. Abermillionen Kriegsgefangene trafen also auf vollkommen unzureichende Infrastruktur. Aber sie wurden eingesetzt. Zur Arbeit. Und zur Rache.
"Eins der ganz großen Themen zwischen 1914 und 1918 in Europa ist: Vergeltung. Kriegsgefangene werden genutzt, um den Kriegsgegner abzustrafen."
Das Thema Kriegsgefangenschaft bleibt weit über den Krieg hinaus aktuell. Und die aufgebauten Strukturen werden später auch noch genutzt: Lager ebenso wie das Arbeitsamt.
"Dieses internationale Komitee vom Roten Kreuz baut eine riesige Kartei mit fünf Millionen Karteikarten auf, in der ein großer Teil der Kriegsgefangenen dokumentiert ist."
Jochen Oltmer ist Historiker und Migrationsforscher am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien und am Historischen Seminar der Universität Osnabrück. Seinen Vortrag "Kriegsgefangen. Ohnmacht. Sehnsucht. 1914 – 1921" hat er am 30. August 2018 auf Einladung des Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven gehalten.
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