Die Mehrheit der Deutschen hält die Energiewende für dringend erforderlich. Gleichzeitig sind sie unzufrieden damit, wie die Energiewende umgesetzt wird. Umweltsoziologe Ortwin Renn erläutert in seinem Vortrag, wie dieser Missstand behoben werden kann.
Den Menschen in Deutschland fehlt eine klare Linie bei der Umsetzung der Energiewende. Das macht das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energie- und Verkehrswende 2022 deutlich: Drei von vier Befragten sind für die Energiewenden. Die absolute Mehrheit ist aber nicht damit einverstanden, wie sie momentan vollzogen wird.
Die Befragten bewerten das Vorgehen der Politiker*innen als chaotisch und elitär. Häufig würden dabei sogar Gefühle von Fremdbestimmung und Kontrollverlust auftreten, sagt der Umweltsoziologe und Risikoforscher Ortwin Renn.
Auch sei das Vertrauen in die Wissenschaftler bei vielen Menschen inzwischen deutlich gesunken. Das liege unter anderem daran, dass wissenschaftliche Aussagen heutzutage oft komplex und ambivalent sind und man den jeweiligen Wahrheitsgehalt nicht mehr genau erkennen kann. Weitere Gründe kämen hinzu.
"Wir haben viele wirtschaftliche und wissenschaftliche Akteure, die Eigeninteressen verfolgen und dadurch Vertrauen verspielt haben."
Ebenso verschwimmen die Grenzlinien in unserer Wahrnehmung. Ausgelöst werde dies dadurch, dass wir vieles gar nicht mehr erspüren könnten. Ob das Ozonloch tatsächlich existiere oder nicht, lasse sich mit unseren Sinnen nicht feststellen. Das wiederum führe zu einer immer größeren Orientierungslosigkeit, sagt der Risikoforscher.
Bürger*innen stärker in Energiewende einbinden
Ortwin Renn macht aber auch Vorschläge, wie dieses Gefühl der Schwäche bei der Energiewende behoben werden kann. Erhebliches Potenzial sieht der Forscher darin, die Bürgerinnen und Bürger daran teilhaben zu lassen. Nach seinen Untersuchungen solle man sie stärker in Energieprojekte einbinden: Neue Geschäftsmodelle bei Windkraftanlagen beispielsweise oder bei "grüner Bürgerenergie" ganz allgemein seien noch lange nicht in ausreichendem Maße umgesetzt.
Wichtig dabei sei außerdem, Möglichkeiten für untere und mittlere Einkommensschichten zu entwickeln, um gerade dort verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen.
Ortwin Renn war bis Ende 2022 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und Professor für Umwelt und Techniksoziologie an der Universität Stuttgart. Jahrelang wirkte er auch als Politikberater, wenn es um Umweltfragen ging.
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer hat er innerhalb der Ringvorlesung TU Berlin for Future am 14.11.2022 vorgestellt. Sein Thema lautete: "Die Achillesferse der Energiewende: Soziale Gerechtigkeit und aktive Teilhabe". Veranstalter der Reihe waren das Zentrum Technik und Gesellschaft, die Fachgebiete Arbeitslehre/Ökonomie, Nachhaltiger Konsum und Landschaftsplanung/-entwicklung der TU Berlin sowie die Vereinigung von Studierenden "Fridays for Future".