Milena war mit 19 Au-pair in Neuseeland, dann kam Corona und sie musste bleiben. In dieser Zeit sei sie emotional unabhängiger von ihren Eltern geworden. Ein Familientherapeut erklärt, wie wichtig der Auszug von Zuhause für die Entwicklung sein kann.
"Mensch, du wirst so ein Heimweh haben!" – So reagierte Milenas Mutter, als sie ihren Eltern davon erzählte, nach ihrem Abitur als Au-pair nach Neuseeland gehen zu wollen. Neuseeland sei immer das Land ihrer Träume gewesen und für sie ein ideales Ziel, um ein bisschen weg von ihrer Familie und dem gewohnten Umfeld zu kommen, sagt sie. Und nein, Heimweh habe sie vom ersten Tag an nicht gehabt.
Milena war noch nicht lange in Neuseeland, dann kam es auch zum Corona-Lockdown. Anfangs habe es keine Chance gegeben, irgendwie aus dem Land zu kommen – auch nicht über das Auswärtige Amt und schon gar nicht mit der Unterstützung der Eltern, die wirklich vieles versucht hätten. Die Situation sei insgesamt schon belastend gewesen – auch, ihre Eltern zum ersten Mal so hilflos zu sehen, sagt Milena.
Schneller Erwachsen im Lockdown
Rückblickend hat ihr der Lockdown allerdings sehr beim Erwachsenwerden und der Abnabelung von ihren Eltern geholfen, sagt Milena. Sie habe gelernt, dass sie stark und stabil sein kann und viele Dinge selbstständig schaffen und durchstehen könne. Es ist eine sehr wichtige Zeit gewesen, in der Milena ein autonomes Verhalten entwickeln konnte, sagt sie.
"Der Lockdown in Neuseeland hat mich gelehrt, dass ich sehr stark bin und Dinge schaffen und durchstehen kann, wenn ich das möchte."
Abnabelungsprozess noch nicht abgeschlossen
Milena wohnt heute wieder in Leipzig, wo auch ihre Eltern leben. Insgesamt hat sie ein gutes Verhältnis zu ihnen, sagt Milena. Sie wünsche sich aber, dass diese ihre Autonomie ein bisschen mehr achten würden. Ihre Eltern hätten sie schließlich zu dem Menschen gemacht, der Milena heute ist. Darum könnten sie ihr als intelligenten, jungen Menschen noch ein bisschen mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten entgegenbringen.
"Meine Eltern haben ja den Samen quasi mal in meiner Kindheit gesät und ich bin dadurch jetzt der Mensch, der ich bin. Ich wünsche mir, dass sie heute auch in mich und meine Fähigkeiten vertrauen können."
Teil der Entwicklung beim Erwachsenwerden ist es, autonomer, eigenständiger und selbstverantwortlicher zu werden, sagt der Familientherapeut Björn Enno Hermans. Ein Auszug von Zuhause in eine eigene Wohnung oder WG sei nicht ganz unwichtig, um Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit zu fördern.
Neue Rollenverteilung in der Familie
Ab einem gewissen Punkt würden sich Eltern und ihre Kinder, die nun erwachsen werden, in neuen Rollen begegnen – zum Beispiel nach einem Auszug, wenn man nicht als Kind, sondern als Besuchender ins Elternhaus zurückkehrt. Aber auch die Kommunikation ändere sich. Es werde über andere Themen diskutiert – und zwar mehr auf einer Erwachsenenebene.
"Es geht es auch irgendwie anders zu in der Kommunikation. Es werden Themen anders miteinander diskutiert und man begegnet sich auf einer erwachsenen Ebene."
Ein Berufsabschluss, finanzielle Unabhängigkeit und später vielleicht sogar die Gründung einer eigenen Familie – auf dem Weg zum Erwachsenwerden gibt es einige markante Entwicklungsstufen, bei denen sich das Verhältnis zu unseren Eltern wandelt, sagt der Familientherapeut.
Über Bedürfnisse und Erwartungen sprechen
Dabei könne es durchaus zu Problemen bei der Erwartungshaltung kommen. "Du meldest dich ja nie" – dieser Satz sei da so ein Klassiker, den Kinder zu hören bekommen. Hier sei es wichtig, eigene Erwartungen oder Absichten offen und direkt zu kommunizieren, um nicht zu kränken oder das Gefühl von Desinteresse auszustrahlen. Vorwürfe werden die Wahrscheinlichkeit auf eher nicht erhöhen, dass jemand sich öfters meldet, sagt Björn Enno.
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- Milena findet, dass ihr Neuseelandaufenthalt der wohl größte Schritt auf dem Weg zu mehr Unabhängigkeit gewesen ist.
- Familientherapeut Björn Enno Hermans erklärt, was Unabhängigkeit im Eltern-Kind-Verhältnis bedeutet.