Onur ist für sein Studium von zu Hause ausgezogen. Die Beziehung zu seinen Eltern ist ihm wichtig. Aber er möchte auch Grenzen setzen. Psychologin Sandra Konrad erklärt, wie wir damit umgehen können, wenn wir uns für unsere Eltern verantwortlich fühlen.
Onur ist vor rund zehn Jahren bei seinen Eltern ausgezogen. Es war ein mitunter komplizierter Ablösungsprozess. Um herauszufinden, wer er ist und was er möchte, musste er lernen, sich von seinen Eltern abzugrenzen. Onur beschreibt seine Eltern als liebevoll, aber auch in gewisser Weise überfürsorglich.
"Man muss die Kinder auch einfach mal fliegen lassen, damit sie ihren eigenen Weg finden. Und damit hatten meine Eltern schon sehr, sehr lange ein Problem."
Inzwischen wohnt und studiert er in Wien. Seine Eltern leben in einem kleinen Dorf im österreichischen Burgenland. Onur besucht seine Eltern einmal alle ein bis zwei Monate. Nach seinem Auszug war es anfänglich schwierig, ihnen zu vermitteln, wenn er sie mal nicht so oft sehen wollte, wie sie sich das gewünscht haben.
"Ich glaube, auch wenn sie es nicht mehr so anmerken lassen, dass es tief in ihrem Inneren noch immer ein bisschen schade finden, dass ich jetzt in Wien wohne."
Zwischen seinen Bedürfnissen und Wünschen und denen seiner Eltern abzuwägen, habe ihm oft ein schlechtes Gewissen bereitet, sagt Onur. Mit einer Psychotherapie hat er sich den notwendigen Support gesucht, den er gebraucht hat, um die Emanzipation von seinen Eltern positiv zu gestalten.
Raus aus der Provinz, rein in die Großstadt
Im kleinen Dorf seiner Eltern habe er sich nie richtig heimisch gefühlt, sagt Onur. Früh war ihm klar, dass er nach dem Schulabschluss nach Wien ziehen wollte. Eine Entscheidung, die für seine Eltern nicht leicht nachzuvollziehen war, weil er sich dadurch räumlich von ihnen entfernen würde und sie ihn nicht mehr so oft sehen könnten.
"Sie fühlen sich ein bisschen im Stich gelassen, obwohl es nicht schlecht ist, wenn die Kinder selbstständig sind. Damit hatten sie sehr lange sehr zu kämpfen."
Onurs Eltern sind kurdischer Abstammung und kommen aus Anatolien. Sie sind etwa 1990 nach Österreich eingewandert, erzählt er. Es gebe viel, was sie hätten leisten und auch aufarbeiten müssen. Ein enger Familienzusammenhalt, wie sie ihn aus ihrer ursprünglichen Heimat kennen, ist ihnen besonders wichtig.
In Teilen ist der mitunter schwierige Ablösungsprozess auch dem unterschiedlichen Aufwachsen geschuldet, sagt Onur. Seine Eltern handhaben vieles so, wie sie es von ihren Eltern gelernt haben. Dazu zählt auch, dass sie als Eltern in der Vergangenheit oft für sich beansprucht haben, Dinge besser zu wissen als Onur.
"Es hat teilweise Jahre gedauert, bis meine Eltern gewisse Dinge verstanden haben. Nicht weil sie Sturköpfe sind, aber, weil sie es nicht anders kennen."
Inzwischen habe sich auch das gewandelt: Onur stellt fest, dass sie seine Meinung und seine Expertise in gewissen Fragen zu schätzen gelernt haben und ihn auch um Rat fragen. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist nun entspannter, als noch vor einigen Jahren.
In Kontakt mit den Eltern bleiben: So gelingt es
Wenn wir im Verlauf des Erwachsenwerdens und der endgültigen Abnabelung von unseren Eltern Schuldgefühle empfinden, dann ist das möglicherweise etwas, was uns verbal oder auch non-verbal in der Kindheit oder Jugend vermittelt wurde.
Die Psychologin Sandra Konrad betont, dass wir als Kinder unserer Eltern nichts schuldig sein. Wie viel Verantwortung wir als erwachsene Kinder für sie übernehmen wollen, sei eine andere Frage und eine Verhandlungssache. Da gelte es zu schauen, was man ihnen zurückgeben möchte.
Und es sei auch wichtig zu hinterfragen, ob die Erwartungen, die unsere Eltern an uns stellen, gerechtfertigt sind. Wir können uns fragen: Was unsere Eltern brauchen und ob wir in der Lage sind, das zu leisten.
"Wir können unseren Eltern dankbar sein. Wir können alles dafür tun, um eine gute Beziehung mit ihnen zu haben. Aber kein Kind kann seine Eltern retten und wir sind ihnen nichts schuldig."
Schuldgefühle führten eher zu einem Ohnmachtsgefühl und Groll gegenüber unseren Eltern. Aus dieser Zwickmühle komme man raus, indem man sich überlegt, wie man die Beziehung mitgestalten könne. Dinge zu verhandeln, mit den Eltern darüber zu kommunizieren, könne helfen. Dabei sei es wichtig, sich selbst treuer zu sein, als den Eltern, damit man in der Lage ist, das eigene Leben integer zu leben. Egal, ob es dabei um die sexuelle Orientierung, den Wunschpartner oder den Berufsweg geht, sagt die Psychologin.
Wer wie Onur einen anderen kulturellen Background hat, hat es mitunter ein wenig schwerer, wenn nicht nur das Elternhaus, sondern auch die Herkunftsgesellschaft sehr hohe Loyalitätsanforderungen stellt, sagt Sandra Konrad.
"Die Wachstumsschmerzen gehören dazu, idealerweise entsteht eine erwachsenere Beziehung zu den Eltern, die auch allen Beteiligten mehr Freude macht."
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- Onur, 29, über die Beziehung zu seinen Eltern
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