An einem Septemberabend passiert es das erste Mal: Durch das Fenster von Elli* und David* fliegt ein Stein. Das wiederholt sich noch acht Mal. In unregelmäßigen Abständen. Elli und David setzen alles daran, die unbekannte Person zu identifizieren: Sie schalten die Polizei ein, installieren eine Videokamera, engagieren Privatdetektive und schieben sogar selbst Wache. Nichts hilft. Mit der Zeit geht es Elli immer schlechter.
Anmerkung: Dieser Text ist die Grundlage für einen Radiobeitrag. Der beinhaltet Betonungen und Gefühle, die bei der reinen Lektüre nicht unbedingt rüberkommen. Außerdem weichen die gesprochenen Worte manchmal vom Skript ab. Darum lohnt es sich, auch das Audio zu diesem Text zu hören.
Es könnte eigentlich so ein richtig guter Abend werden für Elli. Sie ist auf einer Party. Es ist voll, laut, ziemlich eng. Um sie herum viele Menschen, die sie mag.
Elli: "Und ich hatte gerad meinen zweieinhalbsten Wein getrunken und dann hab ich auf mein Handy geschaut, es war zwar stumm aber ich hab mal drauf geguckt. Und dann war da ne SMS…"
Und dann ist es mit dem entspannten Abend vorbei. Die Nachricht ist von David, ihrem Freund.
Elli: "Dann stand da sowas wie – jemand hat gerade bei uns einen Stein ins Fenster geworfen und dann so ein so ein erschrockener Smiley. Und dann hat er ein Foto geschickt. Ich hab gedacht - "Oh mein Gott". Und ich und bin dann von der Party erstmal nach Hause gelaufen, hatte hohe Schuhe an. Das war ja im September. Und weil ich mich so beeilen wollte, habe ich die hohen Schuhe ausgezogen und bin dann auf Strumpfhosen quasi nach Hause gelaufen. Das waren ungefähr, ich weiß nicht, zwei Kilometer."
Ein Stein landet in Ellis und Davids Fenster
Als sie zuhause ankommt, ist gerade auch die Polizei da, ziemlicher Aufruhr. Die Beamten nehmen die Daten auf, machen Fotos – der Stein ist rechts oben in der Fensterecke eingeschlagen. Auch wenn der Stein nicht durchgegangen ist, die Scheibe ist hin.
Elli: "Ich war total erschrocken hab aber auch gedacht, war halt irgendein Vollidiot. Jemand hat ne Mutprobe abgeschlossen, waren Betrunkene oder so."
Naja die Wohnung liegt auch nicht gerade in der besten Gegend. Drumrum sind so Bierstuben, Kneipen und ein Nachtclub. Für Elli ist das Thema deswegen ziemlich schnell erledigt. Und auch David hat es schnell abgehakt.
David: "Das Einzige was mich geärgert hat, war die Sache mit dem Austauschen von dem Fenster. Aber das war alles was mich dann noch beschäftigt hat. Ich hatte keine Vermutung, dass da mehr dahinterstecken könnte."
"Man denkt ja, man lebt in einem Land, wo so etwas gar nicht möglich ist. Da wo Gerechtigkeit herrscht. Aber so ist es nicht."
Aber genau so ist es. Dieser erste Stein im September 2016 ist erst der Anfang. Elli und David sind damals ganz frisch zusammen - gerade mal eineinhalb Monate. Sie leben irgendwo in Norddeutschland. Wo genau möchten sie lieber geheim halten. Die beiden heißen eigentlich auch anders. Trotzdem möchte vor allem Elli unbedingt erzählen, was sie erlebt haben.
Elli: "Man denkt ja, man lebt in einem Land, wo so etwas gar nicht möglich ist. Da wo Gerechtigkeit herrscht. Aber so ist es nicht."
Das sagt sie gleich am Anfang unseres Gesprächs und noch ein paar mal. Dabei flackert ihr Blick immer wieder, oft sammeln sich auch Tränen in ihren Augen. Um zu verstehen, was Elli so fassungslos macht – müssen wir wieder zurückspringen.
Der Steinewerfer kommt immer wieder
Mittlerweile ist Januar 2017. So rund vier Monate sind seit dem ersten Stein vergangen. Ein Sonntagabend in der WG.
Elli: "Es war halt ein gemütlicher Abend. Wir wollten dann uns einen Film anschauen. Und wir hatten einen relativ neuen Mitbewohner. Und hatten ihn auch gefragt ob er den mit uns schauen möchte den Film. Und das war dann in unserem Zimmer. Wir lagen auf dem Bett und haben den Film geschaut und haben uns unterhalten. Wie man das halt so macht."
Kann ich mir gut vorstellen. Film läuft. Das Licht ist gedimmt. Vielleicht ein Bier in der Hand, dazu Chips oder so.
Elli: "Auf einmal hat es einen sehr lauten Knall gegeben. Und dann flog etwas über uns drüber und landete auf dem Sessel, der neben unserem Bett stand. Und ich hab mich wahnsinnig erschrocken. Ich war richtig geschockt kurz. Ich war wirklich total fertig. Hätte einer von uns auf der Bettkante gesessen und wär der gegen den Kopf geflogen, dann hätte auch einer von uns tot sein können. Weil so ein großer Stein schon einiges anrichten kann. Ich muss sagen ich hatte in dem Moment wo es passiert hatte ich schon vielleicht sowas was man mit kurzer Todesangst vergleichen kann."
"Hätte einer von uns auf der Bettkante gesessen und wär der gegen den Kopf geflogen, dann hätte auch einer von uns tot sein können. Weil so ein großer Stein schon einiges anrichten kann."
Sofort ist Elli und den anderen klar. Das mit dem ersten Stein, das war kein Zufall.
Elli: "Also ich hatte mich dann gefasst und hab dann die Gardine zur Seite gezogen und habe durch das riesige Loch im Fenster rausgebrüllt 'Du Arschloch' und hab auch noch jemanden weglaufen sehen. Konnte aber nicht wirklich was erkennen. Kapuzenpulli und dunkel gekleidet. Dann war er oder sie auch schon um die nächste Straßenecke."
Dann wieder Anruf bei der Polizei. Elli sagt den Beamten was sie gesehen hat. Die Beamten notieren alles, nehmen den Stein mit. Mehr können sie gerade nicht tun, klar. Aber für Elli ist klar: Bald werden die Polizisten das schon aufklären. Aber klar ist auch - das Abhaken wie beim ersten Mal, das geht diesmal nicht mehr so gut. Stattdessen haben Elli und ihr Freund jetzt diese Fragen ständig im Kopf.
Elli: "Na klar, also wir haben natürlich schon überlegt - warum? Was könnte ein Anreiz sein, so etwas zu tun? Dass jemand uns was antun möchte und sowas macht? Was haben wir gemacht, haben wir uns gedacht. Klar also wir hatten schon so einige Leute mit denen wir gestritten hatten. Da war wirklich nie viel Wut war im Raum, dass das jemand gemacht hätte."
Kurz ein paar Fakten: Elli studiert damals Kunst und Pädagogik, ist Mitte 20. Sie ist ein richtig kreativer Typ, ziemlich offen, fotografiert und schreibt viel. David ist etwas älter, Ende 20 und studiert Biologie, er ist eher ein klassischer Wissenschaftler-Typ, spricht sehr überlegt. Die beiden leben zusammen in so einer klassischen Studenten-WG, insgesamt zu fünft.
Die beiden haben zwar jeder ein Zimmer, Ellis Zimmer ist aber viel kleiner, eher so die Größe "Abstellraum". Deshalb leben sie einfach zusammen in Davis Zimmer. Das ist größer und heller. Und eben zwei Fenster zur Straße. Zweiter Stock, sieben Meter hoch. Gut erreichbar für den Steinewerfer.
Und Elli und David rechnen jetzt damit, dass es wieder passieren könnte. Aber es bleibt erstmal ruhig. Dann - knapp zwei Wochen nach dem der letzte Stein geflogen ist – da kommt Stein Nummer drei.
Elli: "Da habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Da hat sich meine Welt so ein bisschen kopfgestellt muss ich sagen.
David wird jetzt erstmal aktiv. Mit schweren Spanplatten macht er die Fenster dicht. Jetzt kommt erstmal kein Stein mehr durch – aber es ist eben auch ziemlich dunkel. Nur durch die Tür zum Balkon kommt jetzt noch Licht ins Zimmer – ich stelle mir das so vor, als würden die beiden jetzt in einer Festung leben. Dazu kommt: Die Angriffe werden jetzt immer mehr auch zu ner Belastung für die Beziehung. Die beiden gehen ziemlich unterschiedlich damit um.
"Ich hab schon versucht, das ein bisschen rauszureden. Ja, das passiert jetzt nicht mehr. Ich habe versucht meine Freundin zu beruhigen. Da das nicht immer funktioniert hat, hat das auch zu Krisen geführt."
David: "Ich hab schon versucht, das ein bisschen rauszureden. Ja, das passiert jetzt nicht mehr. Ich habe versucht meine Freundin zu beruhigen. Da das nicht immer funktioniert hat, hat das auch zu Krisen geführt. Wenn man versucht, jemandem zu erklären, was rational ist und was wirklich dahinter stecken könnte und inwieweit wir davon nicht mehr bedroht sind, weil das Fenster barrikadiert war, ist das schon schwierig damit zurechtzukommen."
Also David versucht, ruhig zu bleiben. Er versucht, so ein Fels in der Brandung zu sein, versucht alles ein bisschen realistischer zu sehen. Aber wenn ich David weiter zuhöre, dann spüre ich auch bei ihm so eine gewaltige Verunsicherung.
David: "Man verliert den Bezug zur Realität, wenn man das so ein bisschen steigert und dann denkt jetzt ist ein Fenster eingeworfen worden, was passiert als nächstes? Man kann sich Gedanken machen, theoretisch haben wir auch teilweise besprochen und überlegt ob es nicht sein könnte, dass jemand, wenn er die Befriedigung nicht bekommt das Fenster zu zerstören, jetzt zünde ich das Haus an."
Elli und David gehen auf Spurensuche
Aber: Trotz der Angst - Elli und ihr Freund wollen auch wissen, wer dahinter steckt. Und da sind Steine – der erste Hinweis.
Elli: "Also ich hab ein Foto, ich kann es mal zeigen. Also die sahen immer hups - so aus."
Die erste große Hoffnung – Sind da vielleicht Fingerabdrücke?
Elli. "Also wirklich Handtellergroß und rauh, wie soll man das beschreiben. Keine glatte Oberfläche, was dann auch blöd war wegen Fingerabdrücken. Auf einer rauhen Oberfläche ist es schwer Fingerabdrücke festzustellen."
Gut, dann stellen sich Elli und ihr Freund eben die nächste Frage – woher kommen die Steine? Es sind nämlich jedes Mal ziemlich ähnliche Steine, grau-braun. Naheliegende Idee. Der Steinmetz um die Ecke.
Elli: "Ich bin dann da auch mal hingegangen, aber da war nichts Vergleichbares. Die waren eher kleiner oder scharfkantig, eckig. Und die Steine sind rund gewesen, die bei uns rangeworfen wurden. Und das bedeutet auch, dass der Täter diese Steine mitgenommen hat. Und das finde ich auch sehr krass. Der hat sich irgendwo Material beschafft und ist dann losgefahren. Also der hatte lange den Gedanken, jetzt mache ich das wieder."
Wenn die beiden jetzt so erzählen, dann wirkt es fast schon ein bisschen wie so ein Detektivspiel. Drei Fragezeichen oder so. Nur, dass es hier eben richtig ernst ist. Und die Polizei hat weiter nicht die geringste Spur. Wir sind immer noch im Februar 2017, drei Steine sind schon auf die Fenster von Elli und David geflogen. Jetzt haben die beiden die nächste Idee: Sie installieren eine Kamera.
"Wir wollten ihn auf jeden Fall bekommen. Wir wollten ihn bekommen, Wir wollten wissen wer das ist. "
Elli: "Wir wollten ihn auf jeden Fall bekommen. Wir wollten ihn bekommen, Wir wollten wissen wer das ist. Also es gibt ja einfach so Körpermerkmale. Ne Gangart oder wir hatten die Hoffnung dass er keine Mütze aufhat oder dass man sehen kann wie der Körperbau so ist."
Eine Kamera filmt jetzt permanent die Straße vor dem Haus, alles wird am PC mitgeschnitten. Teilweise haben sie eine Liveschaltung nach drinnen. Direkt rausschauen, ist ja schwierig – wegen der Spanplatten.
Elli und David sitzen im Zimmer und beobachten die Straße. Ziemlich paranoid, aber ich kann das schon verstehen. Dann keine Woche nach dem dritten Stein, fliegt der nächste. Elli und David gehen direkt danach an den Computer – schauen sich das Videomaterial an.
Sie haben viele Videos immer noch. Ich bin gespannt was man da erkennt. Lange tut sich nichts. Das Bild ist etwas unscharf. Es sind so typische Aufnahmen mit Nachtsichtfunktion. Alles etwas gelblich. Ich sehe die Straße, das Spielcasino gegenüber mit Mülltonnen. Es ist weit nach Mitternacht zeigt die eingeblendete Uhr.
Elli: "Da kommt er auf dem Fahrrad angefahren. Steigt ab. Stellt den Ständer runter, hat Zeit und wirft und fährt weg, In aller Seelenruhe. Also was mich halt auch an diesem Video immer wieder schockiert ist diese Seelenruhe. Das ist so krass, irgendwie sieht das so aus - ich machs einfach mal."
Wir schauen uns das Video ein paar Mal an. Klar ist auf jeden Fall: Es ist ein Mann, athletische Figur. Normalgroß. Kapuze oder sowas in der Richtig auf dem Kopf. Aber wirklich jemand erkennen kann man absolut nicht. Elli und David machen Screenshots, versuchen das Bild schärfer zu machen. Aber wirklich mehr können sie auch dann nicht sehen.
Elli: "Wir haben auch das Video an Polizei geschickt und dann haben sie das ans LKA glaube ich weitergeschickt. Die haben dann auch Technik, dass man das noch verschärfen kann. Natürlich nicht wie in so Criminal Minds-Szenen, wo auf einmal dann ein porenreines Gesicht zu sehen ist. Aber da hatte ich schon Hoffnung."
Privatdetektive sollen endlich helfen
Aber auch Hightech-Methoden helfen nicht. Der Angreifer, der Elli und David terrorisiert, bleibt erstmal unerkannt. Dann in einer Nacht Ende Februar – kurz nach dem vierten Stein - machen Elli und David noch etwas - etwas das zeigt, wie groß ihre Verzweiflung ist. Sie engagieren Privatdetektive. Deren Auftrag in dieser Nacht: Die Straße vor der WG im Auge behalten.
"So wie man es so aus so schlechten Fernsehserien kennt. Die saßen in unauffälligem Auto in unauffälligen Klamotten und haben gewartet im dunklen Auto."
Jeder Einsatz der Detektive kostet um die Tausend Euro. Ohne die Unterstützung ihrer Eltern könnten sich Elli und David das überhaupt nicht leisten. Aber nicht nur Ellis Vater wünscht sich einfach, dass mal was voran geht.
Ellis Vater: "Naja wir haben ja mit der Polizei gehadert. Weil wir uns auch immer gedacht haben, dann können die sich ja dann mal hinstellen und mal gucken. Da muss man andererseits sagen, das ist eine Großstadt. Und es das wird Polizei vielleicht auch nicht leisten können."
Und jetzt sind die Detektive also im Einsatz. Dann am frühen Morgen. Die Detektive melden sich nach der Nachtschicht.
Elli: "Es hat leider nichts gebracht. Weil er ist nichts gekommen. Als hätte er es geahnt. Das war sehr traurig. Ich hab wirklich geweint, als die dann gesagt haben, gut wir machen jetzt Feierabend und die hatten aber jetzt quasi das gemacht, was wir gebucht hatten. Das war schon sehr blöd."
Elli ist total fertig. Aber nach den Angriffen im Februar passiert erstmal lange nichts. Wochenlang, Monatelang. Vorsichtig kommt da vielleicht die Hoffnung. Ist es jetzt vorbei? Im Mai 2017 dann die Antwort. Nein!
Eine heiße Spur: Ellis Instagram-Profil
Die nächsten beiden Steine, Nummer fünf und sechs werden spätnachts ins Fenster geworfen. Nicht mal zwei Wochen liegen dazwischen. Und die Polizei hat immer noch nicht den blassesten Schimmer wer das sein könnte. Irgendwas muss passieren.
Die Polizei fordert also Elli und David auf, Namen aufzuschreiben. Aber das fällt den beiden richtig schwer. Es gibt schlicht immer noch niemanden, dem sie sowas zutrauen. Am Ende geben die beiden der Polizei dann drei Namen. Ellis Ex-Freund zum Beispiel. Nicht weil er es sein könnte, aber sie muss eben Namen abliefern. Und dann kommen die Beamten auf noch eine heiße Spur - und da geht es unter anderem um Ellis Instagram-Profil. Da schreibt sie ziemlich offen ihre Meinung. Gerade beim Thema Flüchtlinge.
Elli: "Also mit der Flüchtlingswelle kamen in meinem Umfeld immer öfter Sprüche, die - finde ich - jetzt nicht mehr unter die Meinungsfreiheit fallen, sondern eher in die fremdenfeindliche Richtung gehen. Und ich hab das in erster Linie gemacht, dass ich das geschrieben habe, damit ich mich öffentlich dagegen positioniere. Aber auch damit ich meine Gedanken, die irgendwann sehr frustriert, sehr traurig wurden, dass ich die mal so losgeworden bin. Ich wollte nicht still sein."
Und deswegen ermittelt jetzt der Staatsschutz im Fall von Elli und David. Denn es könnte ja eine politisch motivierte Straftat sein. Also platt gesagt – da wirft ein Nazi Steine gegen linke Elli. Aber wie deutlich hat sie da gegen Rechte getextet?
Elli: "Ich hab nicht geschrieben Ab mit ihrem Kopf, sondern ich hab geschrieben ich hoffe diese Nazis bekommen Fußpilz. Das wars."
Hm, dass deswegen jemand über Monate hinweg immer wieder Steine wirft? Kann ich mir nicht wirklich vorstellen.
Die Zwischenfälle werden immer belastender für Elli
Kurzer Zwischenstand: Wir sind im Mai 2017. Sechsmal wurde jetzt versucht das Fenster von Elli und Davids WG-Zimmer einzuschmeißen und sie haben immer noch keine Ahnung warum. Es gibt keine Botschaften. Nix. Für Elli wird das alles immer belastender.
"Es gab für mich eigentlich kaum noch ein anderes Thema. Was auch ziemlich anstrengend für meine Familie, meine Freunde und auch für meinen Freund war. Aber in erster Linie ich war psychisch irgendwann angeknackst."
Elli: "Weil es gab für mich eigentlich kaum noch ein anderes Thema. Was auch ziemlich anstrengend für meine Familie, meine Freunde und auch für meinen Freund war. Aber in erster Linie ich war psychisch irgendwann angeknackst. Und hab viel, viel geweint. Ich war sehr dünnhäutig was alles anging. Also jegliche Konflikte, seien sie noch so klein. Es war sehr, sehr anstrengend."
Irgendwann in dieser Zeit geht Elli auch zu einem Psychologen. Er diagnostiziert bei ihr eine Postraumatische Belastungsstörung. Krass. Sowas kannte ich eher von Soldaten, die von extremen Auslandseinsätzen nach Hause kommen.
Mittlerweile spreche ich jetzt schon über eineinhalb Stunden mit Elli und ihrem Freund. Der Kuchen, den Elli gebacken hat, steht unangetastet auf dem Tisch neben uns. Die beiden erzählen ohne viel Unterbrechung.
Elli und David wollen sich nicht vertreiben lassen
Je länger wir reden, desto mehr spüre ich diese Fassungslosigkeit. Elli spricht jetzt oft nicht mehr so energisch wie am Anfang, sondern oft leiser. David schaut nachdenklich dem Rauch seiner Zigarette hinterher. Und eine Frage geht mir dann einfach nicht mehr aus dem Kopf: Warum zur Hölle sind sie in dem Zimmer geblieben? Es gab doch gegenüber in der WG das andere Zimmer, das das Elli ursprünglich gemietet hatte. Und: Ellis Eltern wohnen nicht weit weg.
Elli: "Es haben sehr viele Leute sehr schnall auch am Anfang, warum zieht ihr da nicht aus? Da hab ich nur draus gehört - warum beugt ihr euch nicht diesem Blödmann, diesem Kriminellen da? Und das war für mich immer schwierig, weil ich hab da nen ziemliches Gerechtigkeitsbedürfnis. Das fand ich ungerecht. Ich verlass doch nicht mein zuhause, das Zimmer in dem ich zum ersten Mal meinen Freund geküsst habe und wo wir uns auch verliebt haben. Dieser Raum hat mir einfach was bedeutet. Das verlasse ich doch nicht, weil so ein Arschloch sich nicht benehmen kann."
"Ich verlass doch nicht mein zuhause, das Zimmer in dem ich zum ersten Mal meinen Freund geküsst habe und wo wir uns auch verliebt haben. Dieser Raum hat mir einfach was bedeutet."
Aber – so wirklich romantisch ist es einfach nicht mehr. Viermal ist die Fensterscheibe inzwischen ausgetauscht worden. Zwar haben sie die Sperrholzplatten vor den Fenstern wieder weggenommen, aber ganz ohne Schutz geht es halt auch nicht mehr.
Ellis Vater: "Zum Schluss war das ja ein Leben im Drahtkäfig. Die hatten ja denn so Hühnerdraht von innen gegen die Fenster gespannt. Und das ist sehr traurig wie sich das Ganze dargestellt hat."
Sie wollen sich nicht vertreiben lassen und vor allem sie wollen den Täter immer noch fassen. Und Elli und David werden auch wieder selbst aktiv. Sie legen sich jetzt einige Nächte selbst auf die Lauer.
Elli: "Also ich habe mich auf die andere Straßenseite hinter ner Mülltonne versteckt. Ich hab mich so sehr versteckt, dass unser Nachbar von gegenüber, der halt ein paar Mal zum Rauchen raus gekommen ist, mich nie gesehen hat. Der hätte sich wahnsinnig erschrocken. Ich saß zwei Meter von ihm entfernt. und er hat halt seelenruhig geraucht."
Ok die beiden sitzen dann da verteilt in ihren Verstecken, beobachten die Straße…eine Stunde, zwei Stunden… Aber auch in dieser Nacht kommt er nicht. Dafür im Juni wieder. Einen Monat nach den letzten Steinen im Mai. Angriff sieben.
Irgendwann fliegt etwas anderes durchs Fenster
Wenn Elli und David heute davon erzählen, dann kommt da so eine richtige Gleichgültigkeit rüber, eine traurige Routine. Stein einsammeln, Polizei anrufen, dann den Beamten wieder die Geschichte erzählen. Die Polizisten nehmen die Steine irgendwann schon nicht mehr mit. Man findet ja eh keine Spuren. Und für die Beamten geht’s eben nur um Sachbeschädigung nicht um versuchte Körperverletzung. Elli und David fühlen sich teilweise nicht richtig ernst genommen.
David: "Es bedarf einiger Kraft sich mit der Sache vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen. Über die strafrechtlichen Vorgänge kann man sich ewig aufregen."
Und es beginnt auch in der WG zu kriseln. Am Anfang waren die Mitbewohner verständnisvoll, haben geholfen beim Saubermachen zum Beispiel. Aber irgendwann lässt das nach. Auch hier vielleicht so eine Routine. Dazu kommt - dass vor allem Elli ziemlich schnell gereizt ist, angespannt. Da gibt’s immer wieder Streit.
"Es bedarf einiger Kraft sich mit der Sache vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft auseinanderzusetzen. Über die strafrechtlichen Vorgänge kann man sich ewig aufregen."
Und dann: der 8 Stein am 8.8.2017. Auch diesen Angriff gibt es auf Video. 1:58 Uhr steht rechts oben im Bild.
Elli: "Das ist jetzt wieder Video. Jetzt müsste er jetzt gleich wieder mit dem Fahrrad kommen. von der anderen Straßenseite. Kapuzenpulli Und hat den Stein schon in der Hand und wirft und steigt nicht mal richtig ab."
Wobei diesmal war es kein Stein, sondern ein Glas mit einer schwarzen Flüssigkeit.
Elli: "Und das Auto was man am rechten Bildrand sieht. Da ist was von der Flüssigkeit draufgespritzt. Dann kam unser Nachbar mit uns raus und hat dann auf das Auto geleuchtet und hat die Spuren gesehen und gesagt, dass ist Säure."
Ein Schock im ersten Moment. Aber schnell stellt sich raus – es ist nur Druckerfarbe. Und dieser 8. Stein – das ist der letzte Angriff. Danach fliegen keine Steine mehr.
Elli und David wagen den Neustart
Aber das können Elli und David ja nicht wissen. Und ihnen reichts jetzt. Dauernde Unsicherheit, Stress in der WG, Immer öfter schlafen sie jetzt bei Ellis Eltern. Und sie entschließen sich wegzuziehen. David hat ein Jobangebot in einer größeren Stadt in Süddeutschland. Elli bricht ihr Studium ab und kommt mit. Sowas wie ein Neustart. Und der war dringend notwendig, wenn ich Elli so zuhöre.
Elli: "So meine psychische Belastung, also das war zwischendurch sehr heftig, ich hatte so Derealisationszustände. Das ist gruselig. Man fühlt sich, als wäre man in Watte gepackt. Das ist sehr gruselig. Als wär man wach, würde ab träumen. Kann ich nicht so gut beschreiben."
Hätten die beiden da nicht vielleicht doch früher einen Schlussstrich ziehen müssen? Waren sie zu stur – Gerechtigkeit hin oder her? Elli überlegt lange. Schaut David an.
Elli: "Ich hätte es nur für meine Seele anders gemacht. Ich weiß nicht, also es ist schon so, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin."
Ellis Vater, der bestätigt das.
"Ich hätte es nur für meine Seele anders gemacht. Ich weiß nicht, also es ist schon so, dass ich jetzt ein anderer Mensch bin."
Ellis Vater: "Meine Tochter war vor dieser Serie ein lebensfroher Mensch mit vielen Zielen und Plänen. Das hat sich grundlegend geändert. Fakt ist einfach dass sie ein verunsicherterer Mensch ist. Das Problem ist, dass sie sehr schreckhaft ist bei jedem lauten Geräusch. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich das so auswirkt."
In der Region gab es in den letzten Jahrzehnten keinen vergleichbaren Fall
Und eine Frage ist ja immer noch offen. Acht Steine sind gegen ihr Fenster geflogen. Seitdem sie weggezogen sind, kein einziger mehr. Warum ist das alles passiert? Und da müssen wir über die Polizei sprechen. Elli und David mussten ja Menschen nennen, die als mögliche Täter in Frage kommen. Manche wurden vorgeladen, befragt. Ergebnis der Überprüfung – alle negativ.
Auch die Ermittlungen vom Staatsschutz – ohne Ergebnis. Ich hab auch nochmal bei Polizei und Staatsanwaltschaft nachgefragt. Inzwischen sind die Ermittlungen eingestellt. Und: In den letzten Jahrzehnten gab es keinen vergleichbaren Fall. Und diese Hilflosigkeit ist es eben, die Elli immer noch richtig fertig macht.
Elli: "Es ist schon krass, dass sowas passieren kann, ohne, dass einem so richtig geholfen wird von der Seite aus. Oder geholfen werden kann. Das ist so heftig, dass so etwas möglich ist."
"Es ist schon krass, dass sowas passieren kann, ohne, dass einem so richtig geholfen wird von der Seite aus. Oder geholfen werden kann."
Und ne Erklärung? Die gibt’s einfach nicht.
Elli: "Es ist so, dass eigentlich seit fast zwei Jahren diese Gedanken so ein bisschen Bumerang spielen bei mir. Also dass ich quasi immer wieder darüber nachdenke, warum könnte der es gemacht haben? War es deswegen oder deswegen? Und das ist das was das Schlimmste an dem Ganzen ist."
Es gibt Sachen, die kann man nicht erklären, nicht aufklären. Das ist für Elli die traurige Botschaft ihrer Geschichte.
Die Erfahrung hat Elli und David zusammengeschweißt
Aber als wir dann nach ein paar Stunden doch noch den Kuchen essen, der da die ganze Zeit neben uns stand, spüre ich noch was anderes, was Positives. Die Elli und ihr Freund David, die hat dieser Steinewerfer richtig eng zusammengebracht. Neben der Wut, Fassungslosigkeit – ist da noch etwas – Stolz!
Elli: "Ich bin immer wieder total beeindruckt irgendwie von uns beiden, dass wir es da durch geschafft haben und wir sind jetzt zwei Jahre zusammen. Fast zweieinhalb. Und ich muss jetzt sagen, es fühlt sich viel länger an, weil wir das miteinander durchgestanden haben."
*Namen von der Redaktion geändert
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