Dirk Gieselmann und Armin Smailovic haben 100 Orte in Deutschland bereist. Herausgekommen ist ein Atlas der Angst - mit Fotografien und Texten. Er zeigt: Bei uns herrscht Krieg und Frieden - gleichzeitig.
Es war kurz vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, im Sommer 2016. "Das Land war in bizarrer Weise von Angst belegt", sagt Dirk. "Vor-Bürgerkriegs-ähnliche Zustände", nennt Armin das. Und das sieht so aus: Aus einem Bulli springen die Stoßtrupps der NPD, hängen Plakate auf und sind so schnell wieder weg wie sie gekommen sind. "Da ist einer mit einer Brille dabei - den nennen die Professor."
Reporter Dirk Gieselmann und Fotograf Armin Smailovic sind 2016 ein halbes Jahr durch Deutschland gereist. Armin am Steuer, Dirk mit Laptop auf dem Beifahrersitz. Auf der Suche nach der German Angst. "Wer die Nase in den Quark steckt, für den riecht die ganze Welt nach Quark", sagt Dirk. Oder anders ausgedrückt: sie haben die Angst gefunden. Das Ergebnis: ihr Atlas der Angst.
"Ein Epizentrum der Angst gibt es nicht."
Als der Anschlag im Juli 2016 auf das Münchener Einkaufszentrum passierte, waren die beiden gerade im Norden Deutschlands - auf dem Weg zum 18. Geburtstag von Dirks Patenkind. Feiern einerseits, Terror-Nachrichten auf dem Smartphone checken andererseits. "Wir haben gefragt: Freut Ihr Euch auf die Zukunft? Die Antwort: Die kommt ja sowieso."
"Die Enthemmung macht mir Sorgen."
Immer wieder haben Dirk und Armin diese Gleichzeitigkeit erlebt: "Es schieben sich zwei Zustände ineinander, die sich eigentlich ausschließen: Krieg und Frieden." Deswegen sind viele Bilder im Atlas mehrfach belichtet, außerdem überlagern sich die Bilder teilweise oder der Text läuft aus der Seite. Ein bisschen verstörend - wie die Eindrücke, die die beiden gesammelt haben.
Am Anfang des Projektes stand eine Schlagzeile der Bild-Zeitung. Die titelte im März 2016 nach den Anschlägen in Brüssel: Wir sind im Krieg! Ob das stimmt - das wollten Dirk und Armin herausfinden. Und sie haben Antworten gefunden. Da ist zum Beispiel die Familie des Imams in Dresden. Auf ihn und seine Familie wurde im September 2016 ein Attentat verübt. Als Dirk und Armin die Familie besuchen, hat der Sohn gerade seinen Turnbeutel im Bus vergessen. Zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit. Also fahren sie gemeinsam zum Fundbüro - und tatsächlich ist der erste Turnbeutel mittlerweile aufgetaucht. "Bevor wir das Fundbüro verlassen, dreht sich der Junge noch einmal um und erklärt dem Mitarbeiter: 'Auf unser Haus ist ein Attentat verübt worden, deswegen bin ich ein bisschen vergesslich.' Dieser Junge ist im Krieg," erzählt Dirk.
"Ich habe den Lack der Zivilisation für dicker gehalten."
In Eine Stunde Talk erzählen Dirk und Armin, was sie erlebt haben, warum sie die besten Begegnungen in potenziellen No-Go-Areas hatten und warum es die German Angst nicht gibt.
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