"Der nasse Fisch" – ein Hörspiel in acht Teilen zum gleichnamigen Roman von Volker Kutscher – verfilmt unter dem Namen "Babylon Berlin". Bei Deutschlandfunk Nova gibt es alle Folgen zum (Nach-)hören. Die Handlung ist fiktiv, aber sie spielt vor einem realen Hintergrund – dem Berlin der Zwanziger Jahren. Eine sehr spannende Zeit – und eine Zeit, über die es sehr viel zu erzählen und zu wissen gibt. Das übernimmt unser Team von Eine Stunde History.
Folge sieben – Sehnsucht nach dem Kaiserreich
Die Lage in "Der nasse Fisch" spitzt sich zu: Kommissare Bruno Wolter und Gereon Rath versuchen, sich gegenseitig den Tod des Kollegen Stephan Jänicke in die Schuhe zu schieben – Wolter hält sogar eine Grabrede. Dabei erwähnt er den Krieg 1870-1871, den Preußen gegen Frankreich geführt hat. Ein Krieg, der auch noch 1929 sehr wichtig für kaisertreue Menschen wie Wolter ist: Denn er stellt den Schlusspunkt der deutschen Einigungskriege dar – und damit den Anfang des Deutschen Kaiserreichs, das am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles gegründet wurde. Die Franzosen rächen sich später bitter: Der Friedensvertrag von Versailles zum Ende des Ersten Weltkrieges wird 1919 an derselben Stelle unterschrieben.
Preußen hatte zuvor schon, nach dem Sieg gegen Österreich 1866, den Norddeutschen Bund etabliert – ein Vorläufer des späteren Kaiserreichs. Der deutsch-französische Krieg 1870-1871 wurde vom damaligen Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes Otto von Bismarck provoziert, indem er die Emser Depeche in Umlauf brachte. Dieser Sieg über die Franzosen war für das neue Kaiserreich so wichtig, dass sogar ein Feiertag ausgerufen wurde: Die Schlacht von Sedan wurde jedes Jahr am 02. September vom ganzen Reich gefeiert.
"Es gibt nicht nur Wolter, sondern sehr viele in der Republik, die der Krone, der Monarchie nachtrauern. Die halten die Demokratie für eine Quatschbude."
Genau dieser Monarchie mit ihrem Gründungsmythos trauert Wolter nach: Er wünscht sich ein bedeutendes großes Reich in der Mitte Europas mit Führungsanspruch – die Weimarer Republik mit ihrer Demokratie hält er für Quatsch. Es gibt 1929 noch andere, die wie Wolter denken. Ihnen allen fehlt das Nationalgefühl in der Weimarer Republik. Sie fühlen sich durch den verlorenen Ersten Weltkrieg und den anschließend geschlossenen Vertrag von Versailles gedemütigt. Ihr eigentlicher Bezugspunkt ist nicht die Weimarer Republik, sondern der in Schimpf und Schande verjagte Kaiser. Dabei können sie sich auf konservative Eliten, Großagrarier und Industrielle stützen, die auch das Kaiserreich zurückwollen.
In Folge sieben wird noch eine weitere Schlacht gegen Frankreich erwähnt: Wolter und der Auftragsmörder, der auf ihn angesetzt wurde, haben beide in der Höllenschlacht von Aisne gedient. Eine Schlacht, bei der insgesamt 350.000 Menschen gestorben sind. Diese Höllenschlacht war eine französische Großoffensive im Ersten Weltkrieg, die das Ziel hatte, die deutsche Linie zu durchbrechen. Die Schlacht begann am 16. April 1917 und musste von den Franzosen abgebrochen werden: Einige französische Soldaten hatten gemeutert. Grund dafür waren unter anderem bolschewistische Tendenzen der Soldaten, die sich durch die russische Revolution verbreitet hatten. Frankreich ließ im Anschluss rund 500 Todesurteile durch Militärgerichte aussprechen, 49 davon wurden ausgeführt. Dies war die letzte große Schlacht der französischen Armee im Ersten Weltkrieg vor dem Eintreffen der Amerikaner.
Sehr prägend für den Alltag in der Weimarer Republik, wie er im "nassen Fisch" beschrieben wird: Es wird immer und überall geraucht – egal ob im Kino, in der Küche oder im Büro. Kippen gab es einfach überall, aber es gab kein Gespür dafür, dass Zigarettenrauch schädlich sein kann. Die Zigarette war auch Ausdruck des Wandels – Rauchen wurde immer schneller, moderner und einfacher: 1888 wurde die erste Maschine für eine Massenproduktion von Zigaretten hergestellt – so konnten diese schnell und günstig produziert werden. Daher fingen immer mehr Menschen an, Zigaretten statt Pfeife zu rauchen – oder überhaupt zu rauchen. 1920 verbrauchte, auf die gesamte Bevölkerung gerechnet, jede und jeder 319 Zigaretten pro Jahr. 1936 war diese Zahl schon auf 572 Zigaretten im Jahr gestiegen. Deutschland war in den 1930er Jahren der größte Tabakimporteur der Welt.
"Man hatte kein Gespür dafür, dass das schädlich ist, jedenfalls nicht in dem Maße, wie man es heute hat."
Einen kleinen Blick in den Alltag gibt es auch, wenn Kommissar Röder zu Rath in das Büro kommt. Der hat den Job als Kommissar an den Nagel gehängt und schreibt anscheinend erfolgreich Kriminalgeschichten. Tatsächlich wurde in der Weimarer Republik sehr viel gelesen, denn es gab zwar Kino, aber kein Fernsehen. Einerseits gab es die Groschenromane – Hefte mit Geschichten, die für einen Groschen zu erwerben waren. Bei diesen Groschenromanen waren die unterschiedlichsten Genres vertreten, wie Krimis, Trivialromane oder Militärgeschichten aus dem Ersten Weltkrieg. Berühmt für Liebesgeschichten war beispielsweise Hedwig Courths-Mahler, die heute mit Autorinnen wie Rosamunde Pilcher verglichen werden könnte – oder Karl May. Konträr zu diesen Heftromanen gab es auch Autoren wie Thomas Mann, Gerhart Hauptmann oder Berthold Brecht, die oft gelesen wurden. Genauso wie der Dichter Stefan George oder die Weimarer Klassiker von Goethe oder Schiller. Das Leseverhalten war so gespalten, wie die Republik selbst.
Folge acht – Paramilitärische Kameradschaften bestimmen das Straßenbild
Das Finale ist da: In der achten Folge von "Der nasse Fisch" befindet sich Kommissar Gereon Rath auf einem mehrtägigen Drogentrip – Drogen sind generell im Hörspiel und der TV-Serie Babylon Berlin sehr präsent. Tatsächlich war die Beschaffung von Drogen seit 1900 nicht mehr frei und unterlag strengen Beschränkungen. Es gab zwar, wie heute, in Großstädten wie Berlin Drogenhandel, aber es war nicht so, dass die ganze Bevölkerung unter Drogen gestanden hätte – dafür hatten die meisten zu wenig Geld und Zeit. In bestimmten Schichten und Gruppen war Drogenkonsum aber gängig. Das waren zum Beispiel oft Kriegsrückkehrer wie Rath, die schwere Traumata mitbrachten. Diese Gruppe von Menschen konnte den Alltag oft nicht ohne Rausch ertragen – sie bekamen in Apotheken auf Rezept Drogen, um sich halbwegs ruhig zu stellen. In berühmten Tanzklubs wie dem Moka Efti wurden genauso Drogen konsumiert. Es gab auch einige berühmte Drogensüchtige, wie die Tänzerin Anita Berber – die kokainsüchtig war und sehr exzessiv gelebt haben soll. Auch der Nazi Hermann Göring war morphiumabhängig, ebenso wie der Schriftsteller Hans Fallada.
"Dieser Teufelskreis Drogen, Geldbeschaffung, Prostitution oder Beschaffungskriminalität, den gab es damals wie heute auch."
Im Drogenrausch geht Rath zu einem Kameraden von Wolter und findet heraus, dass dieser zur "Kameradschaft der national gesinnten Kräfte" gehört. Dieser spezielle Verbund ist zwar ausgedacht – aber es gab 1929 viele solcher links oder rechts gesinnten Kameradschaften. Die bedeutendsten Verbände für die rechte Bewegung waren zum Beispiel die SS oder die SA – die Schutzstaffel und die Sturmabteilung. Bekannt als Anhängsel der NSDAP, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Hitlers, liefen sie als paramilitärische Verbände durch die Straßen Berlins und waren uniformiert. Ähnlich war es mit den Freikorps – Gruppen, die zu Anfang der Weimarer Republik diese verteidigen wollten. Solche Freikorps sollten eigentlich in die damalige Reichswehr der neuen Republik aufgenommen werden – diese fiel durch den Versailler Vertrag aber sehr klein aus. Daher lösten sich die Freikorps auf und gründeten Wehrverbände, die sich martialische Namen wie "der Stahlhelm" gaben. Die Wehrverbände waren am Rande der schwarzen Reichswehr. Diese setzte sich offen für ein Ende der Republik ein und wollte die alten Zustände des Kaiserreichs wiederherstellen.
Gemeinsam mit anderen Kampfverbänden beherrschten paramilitärische Verbände das Straßenbild der Weimarer Republik. Neben den Kameradschaften der Erwachsenen, gab es auch viele linke oder rechte Jugendgruppen. Die Auswahl war auch hier groß: Es gab ganz linke, es gab ganz rechte, es gab paramilitärische und nahezu pazifistische Gruppierungen, reine Jungsbünde oder gemischte Bünde. Alle Gruppen verband, dass sie in überschaubaren Kreisen, jeden Tag miteinander zu tun hatten – es gab also starke personale Bezüge. Die Kameraden in einer solchen Gruppe kapselten sich komplett ab, sie waren für die Gesellschaft nicht mehr erreichbar. Viele konnten mit der Demokratie nichts anfangen und verstanden die ewigen Diskussionen im Parlament nicht: Sie sehnten sich nach einem Gemeinschaftsstaat. Für manche war daher die Idee, einer Volksgemeinschaft anzugehören, durchaus attraktiv. Dadurch konnten die Nazis mit ihren Begrifflichkeiten, viele verschiedene Kameradschaften erreichen. Manche von ihnen sind die NSDAP, SA oder SS eingetreten und haben den neuen Staat bewusst mit aufgebaut.
"Für manche von diesen jungen Leuten war die Idee, einer Volksgemeinschaft anzugehören, durchaus attraktiv. Wir sehen also, dass die Nazis mit den Begrifflichkeiten, die sie gesetzt haben, in viele Gruppen hineingeragt sind, die eigentlich ursprünglich nicht mit ihnen zu tun hatten."
Rath schafft es in "Der nasse Fisch", mehrere rechte Gruppen zum alten Ostbahnhof, einem damaligen Güterbahnhof in Berlin, zu locken. Dort begrüßen sich alle mit "Heil Hitler" – obwohl es 1929 ist, Hitler und die NSDAP also noch nicht die Macht ergriffen haben. Diesen Hitlergruß gab es tatsächlich schon sein 1925. In der NSDAP war es üblich, dass sich die Parteimitglieder so begrüßten. Hitler kopierte diesen Gruß von dem italienischen faschistischen Diktator Benito Mussolini – der sich wiederum an den alten Römern orientierte hatte: dem Saluto Romano. Der ursprüngliche Saluto Romano ist zum Beispiel auf der Trajanssäule in Rom zu sehen: Er gehörte zum Alltag im alten römischen Leben. Später, im 20. Jahrhundert, wurde der Saluto Romano nicht nur von Mussolini und Hitler benutzt, sondern auch als offizieller Olympiagruß eingeführt. Ein altes Plakat der Olympischen Spiele in Paris von 1924 zeigt gemalte Sportler mit freiem Oberkörper, die diesen Saluto Romano machen. Insofern war das etwas, was im Straßenbild damals relativ bekannt war. Heute ist es eine Provokation und verboten, wenn jemand den Saluto Romano macht, denn er ist Teil des Hitlergrußes.
"Der nasse Fisch" endet auf dem Dach des größten Kaufhauses Europas, das zum Zeitpunkt des großen Finales gerade durch ein Baugerüst verhüllt ist. Dieses Kaufhaus ist das KaDeWe, das Kaufhaus des Westens – es war 1929 in eine wirtschaftliche Schieflage geraten und wurde renoviert. 1907 wurde das KaDeWe erstmals eröffnet, sein Erbauer und damaliger Besitzer war der Kaufmann Adolf Jandorf. Den Namen "Kaufhaus des Westens" erhielt das Warenhaus, weil Berlin zu dieser Zeit weiter ausgebaut wurde. Das Kaufhaus des Westens war also das Kaufhaus des neuen Berliner Westens – der Name hat nichts mit der späteren Trennung von Ost und West zu tun. Das KaDeWe hieß auch weiter KaDeWe, als es 1927 an Hermann Tietz weiterverkauft wurde – der Konzern des Kaufmanns ist auch unter dem Namen Hertie bekannt, das sind jeweils die drei ersten Buchstaben aus Vor- und Nachnamen von Hermann Tietz. Weil das Warenhaus 1929 in wirtschaftliche Schieflage geriet, benötigte Tietz Kredite. Die wurden 1933 zurückgehalten, denn die Nazis interessierten sich für das KaDeWe. Hermann Tietz war Jude und so wurde er zur Kalten Enteignung gezwungen: Das bedeutet, dass die Nazis ihm den Kredit nur unter der Auflage gewährten, dass er eine arische Geschäftsführung einsetzte. Nach dem Krieg wurde das KaDeWe 1950 wiedereröffnet. Subventioniert von Bonn, wie viele andere Unternehmen in Westberlin – damit das Leben in der Großstadt wieder weitergehen konnte. Obwohl durch die Trennung von Ostberlin viele Kunden weggebrochen waren.