"Der nasse Fisch" – ein Hörspiel in acht Teilen zum gleichnamigen Roman von Volker Kutscher – verfilmt unter dem Namen "Babylon Berlin". Bei Deutschlandfunk Nova gibt es alle Folgen zum (Nach-)hören. Die Handlung ist fiktiv, aber sie spielt vor einem realen Hintergrund – dem Berlin der Zwanziger Jahren. Eine sehr spannende Zeit – und eine Zeit, über die es sehr viel zu erzählen und zu wissen gibt. Das übernimmt unser Team von Eine Stunde History.
Folge vier – Polizei und Nachtleben
Große Teile der Handlung des "nassen Fisches" drehen sich um die Polizei der Weimarer Republik. Wir lernen Mordkommission und das Sittendezernat kennen. Und auch die politische Polizei spielt eine große Rolle – eine Art innenpolitischer Abwehrdienst gegen Feinde jeglicher Coleur. Politisch motivierte Gewalt – das ist ein großes Thema in der Weimarer Republik. Gewalt vonseiten des rechten und linken Spektrums ist allgegenwärtig. Auf der Straße, bei Mord und Totschlägen in Kneipen und bei der Ermordung von politischen Galionsfiguren wie Rosa Luxemburg.
Um das einzudämmen, versucht die politische Polizei, radikale Kreise zu unterwandern – ganz ähnlich, wie es der Bundesnachrichtendienst noch heute macht. Nach der Machtergreifung der Nazis wird die politische Polizei aufgelöst und durch die Gestapo ersetzt. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fassen die Nazis schließlich alle Polizeien im Reichssicherheitshauptamt zusammen. Eine Erfahrung, aus der die Bundesrepublik eine Lehre gezogen hat: Polizei ist Ländersache.
"Berlin ist kulturell und politisch sehr geprägt von seiner geostrategischen Lage als Mittler zwischen Ost und West."
Unsere Hauptfigur Kommissar Rath ist nicht nur pflichtschuldiger Polizist – er taucht auch tief ins legendäre Berliner Nachtleben ein. Statt sich in die Schlange vorm Berghain einzureihen, geht Gereon ins Moka Efti. Tagsüber Café, abends Tanzlokal mit angeschlossenem Bordell. 25.000 Tassen Kaffee werden hier pro Tag verkauft. Abends werden die Kaffeetische zur Seite geschoben und Swing und Charleston getanzt. Sehr schnelle Tänze mit viel Beinarbeit – und viel Drogenkonsum.
Ein Blick ins Moka Efti und ähnliche Etablissements wirkt auch im Jahr 2018 sehr modern: Die Grenzen zwischen den Geschlechtern verschwimmen, jede und jeder kann sich neu erfinden. Dieser sehr faszinierende aber eben auch sehr kleine Ausschnitt der Berliner Gesellschaft war aber auch Zielscheibe für rechte Propagandisten, die gesamte Gesellschaft als Sumpf, Sündenpfuhl und vor allem als undeutsch zu diffamieren – und zentral anzugreifen.
Wichtig ist aber auch festzustellen: Die Goldenen Zwanziger glänzen nur an der Oberfläche. Ein großer Teil Berlins tanzt nicht auf Koks Charleston, sondern kämpft jeden Tag ums Überleben. Ihr Alltag sieht eher so aus, wie ihn der Maler Heinrich Zille porträtiert hat: Hinterhöfe mit 30 Quadratmetern, auf denen acht bis neun Menschen leben: zwei, drei Arbeitslose, Kinder, Alte und Kranke – und ein oder zwei, die versuchen, Geld heranzuschaffen – egal wie: Ob mit Prostitution oder Schuheputzen. Und dieser Teil der Bevölkerung hat das Schlimmste noch vor sich: Denn kurz nach den Geschehnissen, die im "nassen Fisch" geschildert werden, bricht die Weltwirtschaftskrise aus.
Im weiteren Verlauf der Handlung des "nassen Fisches" wird Hauptfigur Gereon Rath zur Mordkommission versetzt. Sein neuer Chef: Kriminalrat Ernst Gennat: eine historische Figur, eine sehr imposante Erscheinung, wie schon seine Spitznamen "Buddha" und "Voller Ernst" verraten. Wegen seiner Körperfülle oft verspottet, gilt er als Vater des Profiling: Er ist der erste Kriminalbeamte, der Täterprofile erstellen lässt, nach Parallelen zu anderen aufgeklärten oder nicht aufgeklärten Fällen sucht und auf Spurensicherung setzt.
Um an jedem Ort Berlins arbeitsfähig zu sein, lässt er sich sein Mordmobil bauen – ein Auto mit ausklappbarem Schreibtisch. Erfindungsreichtum, der sich für den "Vollen Ernst" auszahlt. Er kann auf eine Aufklärungsquote von 95 Prozent verweisen. Straftäter des Jahres 1929 sind auf so viel High-Tech nicht vorbereitet. Innerhalb kürzester Zeit ist Ernst Gennat ein Star. Schriftsteller wie Heinrich Mann oder Edgar Wallace machen ihre Aufwartung, um sich für Bücher und Filme inspirieren zu lassen.
Folge fünf – Rolle der Frau und Antisemitismus
Schützengraben? Pornodreh? In der fünften Folge des "nassen Fisches" geht es ziemlich bieder zu: Wir begleiten Charlie Ritter an die Universität. Allein der Umstand, dass unsere weibliche Hauptperson in einem Hörsaal sitzt, zeigt schon eine der größten Errungenschaften der Weimarer Republik auf: Frauen sind gleichberechtigt. Sie dürfen wählen und sie dürfen studieren. Trotzdem ist Letzteres im Jahre 1929 immer noch die Ausnahme.
1870 werden Frauen zum ersten Mal als Gasthörerinnen an der Universität Leipzig erwähnt. 1906 gibt es dann einen wegweisenden Erlass des sächsischen Kultusministeriums: Frauen dürfen sich regulär an der Universität einschreiben. Der Zugang zu den akademischen Berufen ist aber weiter eingeschränkt. Das ist erst ab 1920 möglich. Im Jahre 1929 studieren immerhin schon 16.000 Frauen – das sind rund 11,5 Prozent. Charlie Ritter hat es aber trotzdem mit einem sehr männlich geprägten Studienapparat zu tun: Das gilt für das Lehrpersonal, aber auch für die Studieninhalte. So muss sie sich in einer ihrer Kriminalistik-Vorlesung anhören, männliche Massenmörder würden von ihrem Genie zu Tat getrieben – bei Frauen sei dagegen immer Sexualität im Spiel.
"Das Frauenbild driftete auseinander – die einen konservativ und rückwärtsgewandt, die anderen, die über die neue Zeit ein bisschen zu weit hinausgeschossen sind, um es für alle attraktiv zu machen."
An dieser kleinen Szene wird deutlich: Das Frauenbild der Weimarer Republik ist weiterhin konservativ – aber im Wandel begriffen. Das hat damit zu tun, dass viele Männer im Ersten Weltkrieg gefallen sind – Frauen übernehmen deren Jobs – und wollen sie natürlich auch behalten. 1919 wird das Frauenwahlrecht eingeführt, bald sind 10 Prozent aller Abgeordneten im Reichstag Frauen – eine Zahl, die erst 1983 wieder erreicht wird.
Selbstbewusste Frauen, die nachts tanzen gehen und studieren, werden bewundert, verschrecken aber auch viele Männer. Sie sorgen sich: Wer zieht die Kinder groß, wer kümmert sich um den Haushalt? Statt in den Spiegel zu schauen und die naheliegende Antwort zu finden, verteufeln viele Männer das Frauenbild, wie es in Berliner Tanzlokalen gefeiert wird als undeutsch – und stoßen damit bei den Nationalsozialisten auf offene Ohren. Deren Prämisse: Deutsche Frauen sollen möglichst viele Kinder bekommen. Die Folge: Bis zum Jahr 1939 geht der Anteil der Studentinnen wieder zurück. Dann werden Frauen auch jenseits von Herd und Wiege wieder gebraucht: Weil so viele Männer auf dem Schlachtfeld krepieren.
"Antisemitismus haben sich die Nazis nicht ausgedacht – sie haben ihn einfach übernommen."
Beim Ausgehen im Moka Efti haben Charlotte Ritter und ihre Freundin Greta eine unangenehme Begegnung: Sie kommen mit einem jungen Mann ins Gespräch, der Greta auf ihr krauses Haar anspricht und fragt, ob sie jüdisch sei. Ein Beispiel für den Antisemitismus, der in der Weimarer Republik und in ganz Europa schon lange vor der Machtergreifung der Nazis weit verbreitet ist. Die sogenannte Rassenfrage wird unverhohlen gestellt – sogar beim Dating. In den Anfangstagen der Weimarer Republik gibt es einige Legenden, die das Wachstum der jungen Demokratie behindern. Neben der Dolchstoßlegende macht folgende Verschwörungstheorie die Runde: Juden, Sozialdemokraten und Bolschewisten hätten zur Zeit des Ersten Weltkrieges an der Heimatfront die Macht übernommen, während Soldaten im Feld für ihr Vaterland ihr Leben lassen mussten.
Anhänger dieser Theorie fordern im Laufe der Zeit immer brutalere und radikalere Konsequenzen. Die Folge: Antisemitismus ist nichts mehr, was jeder für sich behält. Seine Anhänger zieht es auf die Straße. Es wird gepöbelt, es werden Attentate auf jüdische Bürgerinnen und Bürger verübt. Außerdem verbreitet sich die absurde Vorstellung, dass es einen Unterschied zwischen jüdischem Blut und dem der übrigen Bevölkerung gebe. Dabei ist wichtig zu betonen: Diese Gedankengänge haben sich nicht die Nazis ausgedacht, sie haben sie aber verstärkt und für eigene Ziele instrumentalisiert. Neben der NSDAP gibt es in der Weimarer Republik weitere Parteien, die offen judenfeindlich sind: etwa die Deutschnationale Partei.
Immer stärker setzt sich außerdem ein so genannter "Vernunftantisemitismus" durch. Ein Gedankengang, an den Adolf Hitler anknüpft, der schon 1919 in einem Gutachten für die Reichswehr fordert, sich von planlosen Pogromen zu verabschieden und stattdessen Juden systematisch zu entfernen. Während der Weimarer Republik kommt der Antisemitismus in Wellen auf. Auch statistisch nehmen körperliche Übergriffe auf Juden zu. Bürgerliche Kreise beteiligen sich zwar nicht an Gewalt, distanzieren sich aber nicht davon. Kurz: Antisemitismus wird nicht gesellschaftlich geächtet und kann sich immer weiter ausbreiten. Dazu tragen entscheidend Blätter wie der "Stürmer" bei, die offen zum Mord an Juden aufrufen – und damit den Weg für Auschwitz bereiten.
Folge sechs – der Weg der Waffen
Der junge Polizist Stephan Jänicke ist ermordet worden – und das führt dazu, dass zwei der Hauptpersonen des "nassen Fisches" auf einmal gegeneinander ermitteln. Der Oberkommissar ist sicher: Die Kommunisten haben den Kollegen ermordet. Was für diese These spricht: Im Jahre 1929 demonstrieren Kommunisten fast täglich. Und immer wieder kommt es auch zu blutigen Auseinandersetzungen mit Andersdenken. Etwa in der Blutnacht von Wöhrden. Im Anschluss an eine Wahlveranstaltung der NSDAP sterben drei Menschen.
Kommunisten und deren erklärtes Ziel, die Weltrevolution, waren für die meisten Bürger der Weimarer Republik ein Schreckgespenst. Die Gefahr von links war ständig präsent, während rechte Denker ihre Absichten sehr gut kaschieren konnten. Der zweite Sündenbock der damaligen Zeit waren die Juden. Also lang es für die Nationalsozialisten nahe, beides miteinander zu verbinden und vor einer "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung" zu warnen.
"Das Wort 'Weltrevolution' schallte von Moskau nach Deutschland herüber – und das brachte pure Angst."
Die beiden historischen Figuren, die im "nassen Fisch" auftauchen, Polizeipräsident Karl Zörgiebel und Kriminalrat Ernst Gennat, klagen in einem Gespräch über die hohe Zahl an Waffen, die in Berlin im Umlauf ist. Dabei ist im Versailler Vertrag festgelegt worden: Das deutsche Heer darf nicht größer als 100.000 Mann sein. Offiziell dürften also auch nur rund 100.000 Waffen im Umlauf sein. Die unzähligen Gewalterruptionen während der Weimarer Republik lassen aber vermuten, dass es deutlich mehr sind. Eine Erklärung: Neben dem offiziellen Heer gibt es Wehrverbände und Freikorps, die Waffen horten oder sich aus dem Ausland beschaffen. Oft werden sie von reichen Gönnern unterstützt, die in Russland Waffen kaufen und nach Deutschland schmuggeln, wo sie für den Tag X gehortet werden.
Und dann ist da noch die Schwarze Reichswehr – eine im Geheimen arbeitende Parallel-Reichswehr. Sie ist illegal wird aber von vielen Politikern geduldet, weil die Meinung vorherrscht: Mit 100.000 Mann kann sich Deutschland nicht gegen seine Feinde verteidigen. Personal für die Schwarze Reichswehr zu finden, ist sehr einfach: Bei der reduzierten Truppenstärke ist es ein Leichtes, ehemalige Offiziere aus den hochgerüsteten Zeiten des Ersten Weltkriegs zu finden, die nichts mehr zu tun haben. Auch die Schwarze Reichswehr sucht händeringend nach Waffen, um die Weimarer Republik zu stürzen und die alte Ordnung wiederherzustellen. Und hier kommt der Rapallo-Vertrag ins Spiel: 1922 wird versucht, die Beziehungen zum einstigen Gegner Russland wieder zu normalisieren. Ein Plan, der sehr umstritten ist. Belegt ist, dass nach Unterzeichnung des Vertrages eine deutsche Fliegerschule auf russischem Gebiet entsteht. Und es spricht einiges dafür, dass dank dieser Annährung auch Waffen aus der Sowjetunion ihren Weg nach Deutschland finden.