Werner will seine Freundin Sylvia mit ihrer kleinen Tochter zu sich nach Westdeutschland schmuggeln. Im Kofferraum eines Opel Kadett. Aber die Flucht misslingt gründlich.
Die Liebesgeschichte zwischen Werner und Sylvia hat ein bisschen was von Shakespeare. Nur dass in diesem Fall die Liebenden überleben und die verfeindeten Familien die zwei durch eine Mauer getrennten Deutschlands sind. Die Geschichte beginnt in einer Kneipe in Bernsdorf, da sind Sylvia und Werner gerade mal Anfang 20.
Nicht mit dem Wessi!
1973 ist das. Die West-Berliner dürfen endlich wieder Verwandte im Osten besuchen und Werner will die Gelegenheit nutzen. Als er in der Kneipe auf Sylvia trifft funkt es sofort zwischen den beiden. Sie verabreden sich für den nächsten Tag. Dass Sylvia bereits eine zweijährige Tochter hat, stört Werner nicht. Sie machen einen gemeinsamen Ausflug und genießen zu Dritt einen wunderschönen Pfingsttag. Doch der endet ziemlich unsanft.
"Meine Mutter und mein Vater haben mir klipp und klar gesagt, dass ich mit dem West-Auto hier nicht lang fahren kann."
Als Werner seine Sylvia am Abend mit seiner knallroten Ente nach Hause chauffiert, sind Sylvias Eltern außer sich. Ein Lover aus dem Westen? Auf gar keinen Fall! Sie erklären Sylvia, dass Werners Besuche unerwünscht sind - und so müssen sich die beiden heimlich treffen - im Wald hinter ihrem Elternhaus. Auch in Zittau, wo Sylvia studiert, sorgt die rote West-Ente für Ärger. Irgendwann halten es die beiden nicht mehr aus, sich nur am Wochenende zu sehen. Sie schmieden Fluchtpläne und im Frühjahr 1974 ist es dann so weit.
Rübermachen im Kadett
Am 7. März 1974 verlässt Sylvia mit ihrer zweijährigen Tochter kurz nach Mitternacht zum letzten Mal ihre Wohnung in Ost-Berlin, wo sie inzwischen wohnt. Sie steigt am Ostbahnhof in den Zug nach Schwerin. In Grabow steigt sie aus, läuft in Richtung B5 und versteckt sich nahe der verabredeten Stelle in einem kleinen Wald. Dort wartet sie auf Werner.
"Hinter der Rücksitzbank im Kofferraum da war so’n Stabilisierungskreuz drin - und das hab rausgesägt. Damit man durch die Seitentür in den Innenraum kriechen konnte und gleich weiter in den Kofferraum."
Als Werner die verabredete Stelle erreicht, steigt er aus, pfeift kurz und tut, als würde er am Straßenrand pinkeln müssen. Sylvia schleicht sich mit ihrer kleinen Tochter in den alten Kadett und kriecht in den Kofferraum. Über die B5 geht es zum Grenzübergang Horst/Lauenburg. Und während Sylvia hellwach im Kofferraum liegt, schläft ihre kleine Tochter in ihrem Arm. Am Grenzübergang läuft zunächst alles gut. Die Vorkontrolle überstehen sie problemlos, und auch die zweite Kontrolle läuft glatt. Doch dann muss Werner den Motor abstellen - Sylvia hört Hunde bellen - die Flucht fliegt auf...
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