Die Anzahl Drogentoter in Deutschland ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Dabei könnten mehr Angebote der Suchthilfe Leben retten, sagt ein Suchtexperte. Strukturell sei die deutsche Suchthilfe auf die neuen Entwicklungen beim Konsum illegaler Drogen nicht vorbereitet.

Durch den Konsum illegaler Substanzen sind 2.227 Menschen im vergangenen Jahr gestorben. Das ist ein Anstieg um 237 Tote im Vergleich zum Jahr 2022. Es ist die bisher höchste jemals registrierte Zahl Drogentoter in Deutschland, sagt der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert. Dabei liege die Dunkelziffer an Drogentoten noch weitaus höher.

Ein Grund für die hohe Zahl an Drogentoten ist die Unterversorgung von Suchtkranken, sagt Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Prävention und Beratung des Notdiensts für Suchtmittelgefährdete und Abhängige Berlin. Oftmals suchten diese Menschen den Kontakt zu Einrichtungen der Suchthilfe, doch es gebe zu wenige davon und das sei lebensgefährlich für diese Menschen, so Rüdiger Schmolke.

"Wir haben in Deutschland eigentlich gute Strategien und Angebote – aber davon viel zu wenige."
Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Prävention und Beratung des Notdiensts für Suchtmittelgefährdete und Abhängige Berlin

Wichtige Angebote für Abhängige sind unterfinanziert

Hilfeangebote in Deutschland für Drogenabhängige sind zum Beispiel Anlaufstellen oder Kontaktläden für Drogensüchtige. Dort können sich Menschen aufhalten oder sich informieren über verschiedene Angebote gegen die Sucht, sich beraten lassen zu den Risiken oder zur Ruhe kommen. Solche Orte seien wichtig, "damit Drogenabhängige vom Craving, also von der Gier nach Drogen oder dem Rausch, herunterkommen können", so Rüdiger Schmolke.

Weiter gibt es Drogenkonsumräume, die eine Hilfe für Abhängige sein können. An verschiedenen Orten in Deutschland ist Drug-Checking möglich, wodurch gefähliche Überdosierung vermieden werden kann. In erster Linie soll das Angebot, das vom Bundestag 2023 beschlossen wurde und in Berlin seit etwa einem Jahr angeboten wird, Drogensüchtige über die Risiken ihres Konsums aufklären und sensibilisieren.

Einige Länder und Kommunen seien aber nicht bereit, genügend solcher Angebote zu schaffen. Insgemsamt sei die ambulante Grundversorgung für kurfristige Termine oder offene Sprechstunden, um sich erstmals über Angebote wie Beratungen und Therapien zu informieren und sich vermitteln zu lassen, "total unterfinanziert", sagt der Suchtexperte.

Wichtiges Medikament immer noch rezeptpflichtig

Das Medikament Naloxon kann bei Opioid-Überdosierung akut eingesetzt werden und somit Leben retten, sagt der Suchtexperte. In Deutschland ist es aber immer noch rezeptpflichtig, sodass es zu wenige Menschen dabeihaben, um es im Notfall als Rettungsmaßnahme einzusetzen.

"Wir haben mit dem Medikament Naloxon ein Mittel, das eine Opioid-Überdosierung akut unterbinden und damit Leben retten kann."
Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Prävention und Beratung des Notdiensts für Suchtmittelgefährdete und Abhängige Berlin

Noch ist Fentanyl, ein synthetisches Opioid, das zur Linderung starker akuter und chronischer Schmerzen eingesetzt wird, in Berlin kein Faktor, der zu der steigenden Zahl der Drogentoten geführt hat, sagt Rüdiger Schmolke. Allerdings könne sich das schnell ändern, wenn sich das Heroinangebot weiter verknappt. Grund ist, dass die Taliban den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verboten haben, aus dem Heroin und Morphium gewonnen werden. In Hamburg wird seit Anfang des Jahres beim Drug-Checking immer häufiger Fentanyl festgestellt, das 50 bis 100 mal stärker wirkt als Heroin.

Auf diese Veränderung des Drogenangebots und die Probleme durch Mischkonsum sei die deutsche Suchthilfe aber strukturell nicht vorbereitet, sagt Rüdiger Schmolke. "Wir haben zu wenig Ressourcen."

Shownotes
Suchtkrankheit
Warum es in Deutschland so viele Drogentote gibt
vom 30. Mai 2024
Moderation: 
Till Haase, Sebastian Sonntag
Gesprächspartner: 
Rüdiger Schmolke, Fachreferent für Prävention und Beratung des Notdiensts für Suchtmittelgefährdete und Abhängige Berlin