In der aktuellen Rassismus-Debatte geht es ganz häufig auch um die Frage, wer was wie sagen darf – oder eben nicht. Die Forderung nach diskriminierungsfreier Sprache steht dem Vorwurf eines Redeverbots gegenüber. Das sorgt für Verunsicherung und Polarisierung. In seinem Vortrag wirbt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch für gerechte Sprache und erklärt, weshalb er sie für nötig hält und wie wir sie überhaupt finden.
Wie wir über andere und mit anderen sprechen sollten und wie nicht, darüber wird nicht erst seit den letzten Rassismus- und Sexismusdebatten erbittert diskutiert. Es scheint ja auch tatsächlich immer schwieriger zu werden, noch die richtigen Worte zu finden, um nicht irgendwem versehentlich auf die Füße zu treten. Aber ist das wirklich so schwer? Eigentlich nicht. Jedenfalls klingt das so, wenn man dem Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch zuhört.
Gerechte Sprache als moralische Pflicht
In seinem Vortrag "Gerechte Sprache als moralische Pflicht" nimmt er sich zuallererst den Begriff der Political Correctness vor. Der hat ein ziemlich schlechtes Image – bis hin zum Vorwurf, politisch korrekte Sprache schränke die Meinungsfreiheit ein. Im noch besten Fall wird der Begriff lächerlich gemacht, im schlimmeren als eine Art Kampfbegriff benutzt, um politisch Andersdenkende zu diskreditieren.
"Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle."
Wenn man aber all die Vorwürfe und Behauptungen rund um die politische Korrektheit mal beiseite lässt und sich dem Begriff noch mal unvoreingenommen nähert, läuft es im Grunde auf die Goldene Regel ethischen Handelns hinaus, erklärt Stefanowitsch: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Oder in diesem Fall: Spreche über andere nur so, wie du auch willst, dass andere über dich sprechen.
"Bei der politisch korrekten Sprache“, so der Sprachwissenschaftler, "geht es um den Umgang zwischen Menschen in einer immer heterogener werdenden Gesellschaft, die nicht nur in ihrer Zusammensetzung heterogener wird, sondern die diese Heterogenität immer stärker anerkennt und allen betroffenen Gruppen immer stärker das Recht zugesteht, auf derselben Ebene behandelt zu werden, wie alle anderen."
"Der Begriff Political Correctness ist vielleicht nicht mehr wegzukriegen – aber füllen wir ihn doch mit einer neuen Bedeutung!"
Im Grunde ginge es also um "um Gerechtigkeit – mindestens, wenn nicht sogar Moral". Und je mehr wir den Begriff Political Correctness mit diesen Bedeutungen neues Leben einhauchten, desto eher würde daraus eine produktive Debatte, hofft Anatol Stefanowitsch.
Neben dem Begriff der Political Correctness erklärt er in seinem Vortrag außerdem anhand anschaulicher und auch lustiger Beispiele, wie man zum Beispiel sprachliche Beleidigungen von sprachlicher Diskriminierung unterscheiden kann und wieso es sinnvoll ist, Eigenbezeichnungen von Minderheiten zu verwenden – unter anderem.
"Der hegemoniale Diskurs, der es jahrhundertelang möglich gemacht hat, dass eine kleine Elite entscheidet, wie über andere Gruppen geredet wird, ist längst gescheitert."
Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler und Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Seinen Vortrag "Gerechte Sprache als moralische Pflicht" hat er am 12. Februar 2020 im Rahmen der Ringvorlesung "Über den Umgang mit Menschen" gehalten, die sich in Anlehnung an Knigges gleichnamiges Buch interdisziplinär um unseren Umgang miteinander in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten drehte. Organisiert war die Veranstaltung vom Dahlem Humanities Center der FU Berlin.