Die Violette Fadenschnecke klaut Waffen bei anderen Tieren, um sie selbst zu nutzen. In anderen Fällen geht es gar um eine Art Organhandel im Tierreich.
Diebstahl ist nichts, was wir nur unter Menschen finden. Auch bei Tieren wissen wir davon – bei Hyänen zum Beispiel, die Geparden gelegentlich die komplette Beute wegnehmen. Es gibt auch Affen, die sich einfach Essen stibitzen.
Schnecken ohne Panzer klauen überlebenswichtige Waffen bei anderen Lebewesen
Viel raffinierter geht es aber bei weitaus kleineren Lebenwesen – den Violetten Fadenschnecken – zu. Die etwa fünf Zentimeter großen Nacktschnecken aus dem Mittelmeer haben im Laufe der Evolution ihren Panzer verloren und klauen überlebenswichtige Waffen einfach bei anderen Tieren.
Violette Fadenschnecken rauben Seeanemonen aus
Violette Fadenschnecken bedienen sich gerne bei Seeanemonen. Seeanemonen gehören zu den sogenannten Nesseltieren und sind am Meeresboden festgewachsen. Sie können sich also nicht von der Stelle bewegen.
Interessant für die Violette Fadenschnecke sind die Nesselzellen der Seeanemone. Das sind kleine explosive Zellen, die bei der kleinsten Reizung einen Nesselschlauch ausschleudern, um damit ein hochpotentes Nervengift in potenzielle Opfer zu injizieren, sagt Biologe Mario Ludwig.
"Die Nesselzellen werden von der Seeanemone zum Beutefang oder zur Abwehr von Feinden oder Konkurrenz eingesetzt."
Um an die Nesselzellen der Seeanemone heranzukommen, frisst die Violette Fadenschnecke sie einfach. Vorher umhüllt die Schnecke die Seeanemone allerdings mit einem Schleim, der eine Explosion der Nesselzellen verhindert.
Schnecke bewaffnet sich mit Nesselzellen der Seeanemone
Auf diese Wese sind die Nesselzellen geschützt und können unbeschadet durch den Verdauungstrakt der Schnecke gelangen. Durch spezielle Darmausstülpungen werden die Nesselzellen an entsprechende Stellen im Hinterleib gebracht und dort eingelagert. Dort sind die geklauten Waffen wieder scharf.
Wenn der Prozess abgeschlossen ist, ist die Violette Fadenschnecke bewaffnet – wenn man so will, mit einer geklauten Waffe. Wenn sie von Fressfeinden attackiert werden, explodieren die Miniaturgeschosse und fügen dem Angreifer schwere Verletzungen – auch Vernesselungen genannt – zu.
"Wissenschaftler sprechen von Kleptocniden: 'klepto' bedeutet 'Stehlen' und 'cniden' bedeutet 'Nesselzellen'."
Organhandel bei Schnecken
Nicht weniger bizarr ist, was eine andere Meeresschnecke – die smaragdgrüne Meeresschnecke – macht. Das etwa drei Zentimeter große Tier lebt an der nordamerikanischen Atlantikküste und verwandelt sich im Laufe seines Lebens durch Diebstahl in eine Pflanze.
Als Jungtier ernährt sich die Schnecke von Algen. Dazu ritzt sie ein kleines Loch in eine Alge und saugt ihre Zellen aus. Die grünen Chloroplasten, also die Farbkörperchen, mit denen die Alge Photosynthese betreibt, verdaut sie aber nicht, sondern baut sie unverletzt in den eigenen Körper ein.
Schnecke klaut Chloroplasten für Photosynthese
Wenn sie genügend grüne Farbkörperchen gefressen hat, kann sie selbst wie eine Pflanze, Photosynthese betreiben, also Sonnenlicht in Energie umwandeln. Das ist eine Fähigkeit, die in der Wissenschaft als "Kleptoplastie" bezeichnet wird, erläutert Mario Ludwig.
"Die Schnecke kann das, was sonst nur Pflanzen können. Sie kann Sonnenlicht direkt in Nahrung und Energie umsetzen."
Wie es der Schnecke gelingt, die Chloroplasten, die sie frisst, nicht zu verdauen, haben Forschende der Universität von Maine herausgefunden. Offensichtlich haben die Schnecken im Laufe der Evolution einige Algengene in ihr eigenes Erbgut eingebaut. Diese steuern den ganzen Vorgang.
Wäre natürlich super, wenn wir Menschen das auch könnten. Dann könnten wir uns tatsächlich von Sonnenlicht ernähren. Die Wissenschaft sagt aber: Geht nicht. Aus zwei Gründen: Unser Verdauungstrakt würde die Chloroplasten, samt den dazugehörigen Genen, einfach verdauen. Und: Die Sonnenenergie würde nicht ausreichen, damit ein Mensch davon leben könnte.