Von "den 68ern" sprechen wir, wenn wir über die Studentenbewegung reden, über antiautoritäre Erziehung oder insgesamt über eine gesellschaftliche Öffnung. Vordenker der Neuen Rechten müssen sich von diesem Erbe absetzen - sollte man zumindest meinen. Ob das so ist, das beleuchten zwei Soziologen, eine Kulturwissenschaftlerin und ein Historiker. Kurzvorträge von Thomas Wagner, Christina von Braun, Armin Nassehi und Emile Chabal.
Die Studierenden, die 1968 auf die Straße gingen, eine andere Hochschule und eine andere der Politik forderten, haben unsere Gesellschaft verändert. Klar, die Wortführer der Revolte waren gut ausgebildete junge weiße Männer. Aber wenn wir heute über Frauenrechte, unser Bildungssystem oder Kinderrechte, über die Emanzipation bislang marginalisierter Menschen sprechen, dann haben auch "die 68er" ihren Anteil daran.
"Wenn es eine Parallele zu damals gibt, dann ist es die, dass die Rechten zur Zeit sehr erfolgreich darin sind, genau zu wissen, wo man provozieren muss und womit man provozieren kann."
Wobei es durchaus Menschen gibt, die meinen, dieses Erbe habe ausgedient. CSU-Politiker Alexander Dobrindt zum Beispiel. Anfang 2018 meinte der: "50 Jahre nach 1968 wird es Zeit für eine bürgerlich-konservative Wende in Deutschland". Und das sagt ausgerechnet Dobrindt, ein ausgebildeter Soziologe, wie einer unserer Redner, der Münchner Soziologe Armin Nassehi, mit einem leicht ironischen Unterton anmerkt.
"Ich glaube, dass '68 und die Generationslage von '68 viel tiefere Spuren in der Gesellschaftsstruktur hinterlassen hat, als man das sehen kann."
Armin Nassehi entwickelt in seinem Vortrag die genaue Antithese: 1968 war eine Inklusionsmaschine, die unsere Gesellschaft, unser Bildungssystem und alle parteipolitischen Lager verändert hat. Er nennt dies "die implizit linken Folgen" der 1968er Bewegung.
Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun entwickelt in ihrem Vortrag zunächst einen Ländervergleich: Was waren die Forderungen der 1968er in Frankreich, Deutschland und den USA?
"'Genug der Taten, wir wollen Worte!' Diese Forderung in Frankreich war eine vollkommene Umkehrung von dem, was in Deutschland erzählt wurde."
Sie beschreibt, was hinter der vehementen Ablehnung der Genderwissenschaften durch Rechtspopulisten und Rechtsextreme steckt.
Der Kultursoziologe Thomas Wagner hat sich eingehend mit den Vorgängern der sogenannten Neuen Rechten befasst. Er versucht, die Politikkonzepte nachzuvollziehen. Und da gibt es dann doch einige Ähnlichkeiten zu den geschmähten 1968ern. Nicht nur die gezielte, kalkulierte Provokation. Sondern auch eine "rechte Kapitalismuskritik", also das Stellen der sozialen Frage von Rechtsaußen.
"Was sind eigentlich die Feindbilder der Rechten? Das sind die Migranten, Gender und sehr oft auch 'der Jude', ein leerer Signifikant. Mal ist er der Kapitalist, mal ist er der Kommunist. Der gemeinsame Nenner dieser Feindbilder ist: Die Flexibilität, die Mobilität."
Die Vorträge wurden anlässlich der Tagung "1968 und die Neuen Rechten. Europäische Perspektiven" gehalten, am 7. November 2018 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Veranstaltet wurde diese Tagung von der Kursbuch Stiftung und dem Goethe-Institut.
Thomas Wagner hat unter dem Titel "Eine rechte Volkspartei im Windschatten von 1968" vorgetragen, Christina von Brauns Vortrag hatte den Titel "Veränderte Geschlechterordnung", der von Armin Nassehi hieß "Identitäre Posen".
Der Vortrag von Emile Chabal, der im Podcast zur Sendung zu hören ist, hatte den Titel "Anti-68 in Frankreich: Kultur, Gesellschaft und die Neue Rechte".
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