Deutschland hat seine Politik gegenüber der Türkei verschärft. Mit der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei scheint für die Bundesregierung eine Grenze erreicht zu sein.
Nach der Verhaftung von Peter Steudtner in der Türkei hat das Auswärtige Amt seine Reisehinweise für das beliebte Urlaubsland verschärft. Es rät Türkei-Reisenden offiziell zu "erhöhter Vorsicht". Auch über wirtschaftliche Maßnahmen denkt die Bundesregierung nach: Es soll geprüft werden, ob Exportbürgschaften für deutsche Lieferungen in die Türkei ausgesetzt werden sollen. Auch geplante und bestehende Rüstungsprojekte mit dem Land werden überprüft.
Arikan: Das Maß ist voll
Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist schon seit einiger Zeit angespannt. Versuche, die Wogen zu glätten und sich wieder anzunähern, gab es - aber mit wenig Erfolg, sagt Erkan Arikan, Leiter der türkischen Redaktion von WDR Cosmo.
"Mit der Verhaftung des deutschen Menschrechtsaktivisten Peter Steudtner ist nun das Fass wirklich zum Überlaufen gebracht worden. Und deswegen diese harte Reaktion."
Peter Steudtner wurde vor zwei Wochen gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsaktivisten bei einem Workshop in Istanbul festgenommen. Ein Gericht verhängte Untersuchungshaft gegen ihn und fünf weitere seiner Kollegen, die in der Türkei bis zu fünf Jahre dauern kann.
Erkan Arikan findet die verschärfte Politik gegenüber der Türkei richtig, sagt aber auch, dass sie zu spät kommt.
"Man hätte noch ein viel deutlicheres, ein viel früheres Signal an Ankara geben müssen, damit auch der gute Partner Türkei und der gute Partner Erdogan genau weiß, wo es hier langgeht."
In den meisten türkischen Medien wird die deutsche Reaktion kritisiert. Durch sie würde die angespannte Situation nur weiter verschärft, zitiert Erkan Arikan die Presse. Viele Unternehmer und Hoteliers sähen dagegen die Schuld eher bei dem türkischen Präsidenten. "Seine Politik hat auch teilweise dazu geführt, dass der Tourismus in der Türkei nicht nur im letzten, sondern vor allem in diesem Jahr eingebrochen ist", sagt der Journalist.
Erdogan und seine Gefühle
Dass die Streitigkeiten zwischen Deutschland und der Türkei nur vorübergehend sein werden, daran glaubt Erkan Arikan eher nicht. "Erdogan hat im Moment Deutschland und die Kanzlerin auf dem Kiecker. Und daran wird sich auch in nächster Zukunft nicht viel ändern, fürchte ich."
"Hier geht es einzig und allein um die Befindlichkeiten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan."
Mit größerem innenpolitischen Druck müsse Erdogan nicht rechnen, behauptet der Cosmo-Redakteur. Dazu sei die Opposition zu gespalten. Und innerhalb der Regierungspartei AKP traue sich niemand, das Wort gegen den Präsidenten zu erheben, sagt Erkan Arikan.
Auswirkungen auf Flüchtlingsdeal?
Könnten die Differenzen zwischen Deutschland und der Türkei den Flüchtlingsdeal mit der EU gefährden? Der Journalist glaubt nicht daran.
"Die Türkei wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie jetzt anfangen würde, wieder an dem Flüchtlingsdeal zu rütteln."
Die Milliarden, die die EU der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals zahlt, seien für das Land viel zu wichtig, sagt der Journalist. Deshalb werde der Staatspräsident eher alles vermeiden, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen.
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