Was wissen wir eigentlich wirklich über den Iran? Ist das Land modern oder traditionell? Wie ist die Rolle der Frauen? Charlotte Wiedemann bereist das Land seit Jahren. Kurz vor der Präsidentschaftswahl haben wir mit ihr gesprochen.
Seit 13 Jahren bereist die Journalistin Charlotte Wiedemann den Iran. Für sie hat sich seit ihrem ersten Besuch viel verändert. Eigentlich aber habe die Veränderung sogar noch früher angefangen. Seit mindesten zwei Jahrzehnten, sagt sie, sei der Iran in Bewegung.
Ein wichtiger Antrieb sei das Netz: Von den vielen Bloggern, die schon in den Nullerjahren unbeeindruckt vom Regime ihr Leben dokumentierten bis zum Live-Fact-Checking via Social Media bei aktuellen Wahldebatten. "Heute haben 70 Prozent der Iraner ein Smartphone, etwa die Hälfte sind beim Messengerdienst Telegram angemeldet", so Charlotte Wiedemann.
Bildung und Reichtum
Der Veränderungsprozess lasse sich an verschiedenen Indikatoren erkennen, erklärt die Journalistin. So etwa an der Tatsache, dass die Geburtenrate mit 1,72 Prozent (2014) sehr niedrig ist. Sie liegt knapp unter der von Frankreich. Einst waren es im Iran sechs Kinder pro Frau. Lag früher der Anteil der Analphabeten bei 60 Prozent, studiert heute jeder zweite, sagt Charlotte Wiedemann. Ein großer Teil davon Frauen.
"Wie vieles ist auch die Situation der Frauen zwiespältig. Auf der einen Seite haben wir eine rechtliche Benachteiligung. Auf der anderen Seite sind selbstbewusste junge Frauen in der Öffentlichkeit präsent."
Die Rolle der Frau im Iran ist nicht so einfach zu klären: Einerseits eingeschränkte Entscheidungsrechte und etwa Stadionverbot, andererseits sind da die modernen jungen Frauen, erfolgreiche Unternehmerinnen.
Für Charlotte Wiedemann zeigt sich der Emanzipationsgrad der Frauen übrigens nicht daran, wie weit nun das Kopftuch auf den Hinterkopf rutscht oder ob sie gar verschleiert sind.
"Viele tragen die schwarze Verschleierung auch, um sich vom Elternhaus selbstständiger zu machen", sagt die Iran-Kennerin. Sie sei "eine Art Freifahrtsschein überall hinzugehen. Vielleicht sogar zum Freund, mit dem sie eine Beziehung haben."
"Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist heute größer als der zwischen Religiös und Säkular."
Einheitlich sei die Jugend aber nicht. Ein Schnitt gehe sicherlich durch die Bevölkerung, wenn es um Arm und Reich gehe, erklärt die Autorin und Journalistin. Auf der einen Seite pflegten die vermögenden Iraner einen amerikanischen, sehr konsumorientierten und statusgeprägten Lebensstil ähnlich wie zu Zeiten der Monarchie.
"Auf der anderen Seite haben wir arme Jugendliche, die quasi die ganze Härte des iranischen Lebens zu spüren bekommen, weil sie eben nicht an die Uni gehen können. Weil sie sich nicht mit Geld Freiheit kaufen können."
Nach Charlotte Wiedemann gibt es aber noch die andere Seite: Jene, die weniger Privilegien genießen und dazu tendieren, die Hardliner zu wählen, "da sie sich neuerdings rechtspopulistisch als Fürsprecher der Armen darstellen."
Für die anstehende Wahl glaubt Charlotte Wiedemann, dass dem aktuellen Präsidenten Hassan Rohani das Atomabkommen mit dem schrittweisen Abbau der Sanktionen positiv zugeschrieben werde. Er habe aber nicht alle Versprechen, wie etwa mehr Bürgerrechte, durchsetzen können. Von der Konkurrenz werde er zudem als Kandidat der Elite skizziert.
Eine schwierige Ausgangslage, denn "die soziale Frage ist das Hauptthema bei dieser Wahl", erklärt die Journalistin. Bezogen auf den Wahlausgang meint Charlotte Wiedemann: "Es ist alles sehr knapp."