Eine Berliner Initiative fordert, große Immobilienunternehmen per Volksentscheid zu vergesellschaften. Ob das funktioniert und wirklich helfen würde, ist fraglich, und der Prozess würde sich über Jahre ziehen, sagt Deutschlandfunk-Nova-Korrespondent Panajotis Gavrilis. Deutschlandweit und auch in einigen europäischen Städten wird heute (06.04.2019) demonstriert, um ein Zeichen zu setzen und Unterschriften für einen möglichen Volksentscheid zu sammeln.

In vielen großen Städten ist der Wohnraum schon seit Langem knapp. In den vergangenen Jahren sind die Preise für Bauen, Renovieren und Kaufen weiter angestiegen. Initiativen wie "Deutsche Wohnen & Co enteignen" setzen sich mit Demos in Städten wie München, Dortmund und Leipzig gegen steigende Mieten und Verdrängung von Mietern durch große Immobilienunternehmen ein. (Zu den Begriffen "Enteignung" und "Vergesellschaftung" unten mehr).

In Berlin ist die größte Demo geplant - die Organisatoren rechnen mit 25.000 Teilnehmern. Das Motto der Großdemo in der Hauptstadt lautet "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn". Und die Proteste beschränken sich nicht nur auf Deutschland - auch europaweit soll es in einigen Städten Demonstrationen geben.

"Wir wollen Wohnungen aus der Diktatur des Marktes befreien und sagen, dass existentielle Bedürfnisse des Menschen, wie zum Beispiel Wohnen, kein Spielball an der Börse sein dürfen."
Rouzbeh Tahiri, Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen"

Initiativen wie "Deutsche Wohnen & Co enteignen" fordern, dass gewinnorientierte Immobilienunternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden sollen. Das betrifft in Berlin fast zehn Firmen, die über mehr als 240.000 der Wohnungen in der Hauptstadt verfügen.

Ein langwieriger Prozess, bis ein Volksentscheid zugelassen wird

Unser Korrespondent Panajotis Gavrilis beschreibt den Weg, der zu solch einem Volksentscheid führt, als langwierig und umständlich. Zunächst müssen die Initiatoren 20.000 Unterschriften einsammeln. Dann wird das Begehren vom Senat geprüft, und auch das Abgeordnetenhaus muss sich damit befassen. Erst wenn das Begehren angenommen wird, kann es zu einem Volksentscheid kommen.

Allerdings wäre auch die Umsetzung sehr schwierig, nicht zuletzt weil sie viel kosten würde. Denn wenn Wohnungen vergesellschaftet werden, müssen die Immobilienunternehmen nach Artikel 15 des Grundgesetzes entschädigt werden. Bis ein Volksentscheid eine Verbesserung für die Mieter bringt, könnten also Jahre vergehen, sagt Panajotis Gavrilis.

Einfrieren von Mietsteigerungen hilft schneller

Viel schneller wäre den Mietern geholfen, wenn Mietsteigerungen eingefroren würden, sagt unser Korrespondent im Hauptstadtstudio.

Die Initiatoren der Demos verärgert auch, dass manche Wohngesellschaften mit verschiedensten Methoden Mieter aus ihren Wohnungen verdrängen. Vor allem in Berlin und in manchen ostdeutschen Städten gibt es noch viele teil- oder unsanierte Wohnungen mit moderaten Mietpreisen. Viele Mieter bleiben in ihren Wohnungen und nehmen zum Beispiel in Kauf, wenn sie eigentlich viel zu klein sind - weil sie immerhin noch bezahlbar sind. Denn die Mieten bei Neuvermietungen sind bedeutend höher.

"Man darf nicht mit Wohnungen an der Börse handeln, wie mit Schweinehälften. Das was wir hier machen, ist ein Akt der Notwehr."
Rouzbeh Tahiri, Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen"

Instandsetzungen und Instandhaltungen von Wohnungen müssen vom Eigentümer getragen werden, Modernisierungen können aber auf die Mieter umgelegt werden. Wenn nun ein eigentlich funktionierender Bestandteil – beispielsweise ein Kachelofen – gegen etwas Neueres ausgetauscht wird, kann das auch als Modernisierung ausgelegt werden. Gesetzliche Richtlinien für Abgaswerte könnten etwa ein Argument dafür sein, beispielsweise funktionierende Öfen auszutauschen.

Der Deutsche Mieterbund (DMB) kritisiert, dass Immobilienfirmen diese Möglichkeit oft nutzen, um diese Kosten nach Möglichkeit auf ihre Mieter umzulegen. Wohnungsbewohner, die diese Kosten nicht tragen können, sind dann zum Teil gezwungen, sich eine andere Wohnung zu suchen. Die somit frei gewordenen Wohnungen eignen sich aus Sicht der Immobilienunternehmen viel besser als Spekulationsobjekte als bewohnte Wohnungen.

Mit ihren Demos unter dem Motto "Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn" wollen die Veranstalter auch auf solche Praktiken aufmerksam machen.

Zu den Begriffen Enteignung und Vergesellschaftung:

Die Aktivisten in Berlin fordern die "Enteignung", den Begriff benutzen auch viele Medien. Juristisch wäre es aber eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes.

Mehr zum Thema:

Shownotes
Demos gegen Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt
Initiative will Wohngesellschaften vergesellschaften
vom 06. April 2019
Moderator: 
Ralph Günther
Gesprächspartner: 
Panajotis Gavrilis, Korrespondent im Hauptstadtstudio