Mit der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet sich Deutschland, Menschen mit Behinderung die Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen – dazu gehört unter anderem auch Barrierefreiheit. In Wahllokalen ist dies selten umgesetzt. In anderen EU Ländern ist es nicht besser, beklagt Grünen-Politikerin Katrin Langensiepen.
Bei der Europawahl 2019 waren 800.000 Menschen mit Behinderung von ihrem Wahlrecht ausgeschlossen, geht aus dem Bericht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Europawahl 2019 hervor. Das betrifft vor allem Menschen, die unter gesetzlicher Vollbetreuung stehen, die also selber nicht in der Lage sind, ihren Wahlzettel auszufüllen, sondern Hilfe dafür brauchen.
Ein veraltetes Gesetz hatte diesen Menschen das Wahlrecht abgesprochen. "Weil man glaubte, dass diese Person nicht selbstständig politisch entscheiden kann", sagt Katrin Langensiepen. Dieser Wahlrechtsausschluss ist jedoch auf europäischer Ebene inzwischen abgeschafft.
"In einem uralten Gesetz steht, dass Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, kein Wahlrecht haben. Man glaubt, dass diese Person nicht selbstständig politisch entscheiden kann."
Ein weiteres Problem für Schwerbehinderte sei auch, dass die Wahllokale nicht vollständig barrierefrei sind. Beispielsweise fehlen für Rollstuhlfahrende häufig Rampen, so die Grünen-Politikerin.
"Komme ich mit meinem Rollstuhl am Wahltag ins Wahllokal? Häufig sind das Schulen. Wenn es im Gebäude keine Rampen gibt, komme ich nicht hin."
Auf der Wahlbenachrichtigung steht, ob das Wahllokal barrierefrei zugänglich ist. Rollstuhlfahrende können sich melden und "hoffen, dass man einen anderen Raum zum Wählen kriegt oder halt auch nicht und dann steht man vor der Tür und merkt, dass man nicht reinkommt", so Katrin Langensiepen.
Wahllokale oft nicht barrierefrei
In Deutschland sei die Situation vielerorts so, dass behinderte Menschen wegen baulicher Gegebenheiten vor Ort nicht wählen können. Grünen-Politikerin Katrin Langensiepen schlägt vor, dass für den Tag der Wahl im Lokal Rampen eingesetzt werden.
Damit ist jedoch nicht für alle Schwerbehinderten eine Barrierefreiheit gewährleistet. Beispielsweise benötigen Blinde eine Wahlschablone, erklärt Katrin Langensiepen, die sich auch als Koordinatorin für Menschen mit Behinderung im Europaparlament einsetzt.
Auch andere EU-Staaten haben keine Barrierefreiheit
Solange aber Kommunen, die für die Umsetzung der Wahlen vor Ort verantwortlich sind, sei es ein bisschen so wie "und täglich grüßt das Murmeltier", sagt Katrin Langensiepen: "Das muss man so sagen, weil es immer wieder Beschwerden gibt, dass nicht jeder seine Stimme abgeben konnte."
Das Argument, dass Betroffene ja auf Briefwahl umsteigen könnten, wenn sie aufgrund der Barrieren nicht vor Ort wählen können, will Katrin Langensiepen nicht gelten lassen: "Ich persönlich finde Briefwahl super – aber das ist meine persönliche Entscheidung. Es kann nicht sein, dass man mit dem Argument die Barrierefreiheit umgeht. Das ist geltendes Recht in Deutschland und der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechend."
Die Politikerin Katrin Langensiepen beklagt, dass das Problem der fehlenden Barrierefreiheit nicht Deutschland-exklusiv ist. Auch aus anderen EU-Staaten höre sie, dass in den Wahllokalen der Kommunen keine Barrierefreiheit gibt.
Das liegt daran, dass Städte zum Teil noch Altbauten aus den Sechzigerjahren haben. "Irgendwo hast du immer eine Treppe – und wenn es nur zwei Stufen sind. Das reicht ja schon", fasst Katrin Langensiepen zusammen. Ein europäisches Musterbeispiel gebe es leider nicht.