Erst seit ein paar Jahren redet Kerstin Lorenz mit ihrer Familie über DDR-Erinnerungen und schätzt diese Gespräche sehr, auch beruflich. Als Historikerin arbeitet sie auf, was die Wendezeit mit jungen Menschen und ihren Angehörigen gemacht hat.
Wenn Kerstin Lorenz heute eine Tageszeitung liest, dann macht sie das genau wie ihre Mutter – immer von hinten nach vorn: "Auf den ersten Seiten standen damals immer die Propaganda-Geschichten, während es hinten unpolitisch war, mit Sport und lokalem Käse", das sei ein Stück DDR-Prägung, die sich die Historikerin bis jetzt bewahrt habe.
Ansonsten kann sich die in Dresden geborene Historikerin an nicht ganz so viele Dinge aus der DDR erinnern, schließlich war sie bei der Wiedervereinigung erst neun Jahre alt: "Zu meinen DDR-Erfahrungen gehört, dass ich ganz klischeemäßig in die Krippe gegangen bin ab einem Jahr."
Später im Kindergarten habe sie Soldaten- und Heldenlieder gesungen und sei im sozialistischen Geiste erzogen worden: "Wenn meine Mutter das mitbekommen hat, ist ihr schon mal die Hutschnur geplatzt."
"Wir sind schon im Kindergarten im sozialistischen Geiste erzogen worden, haben Soldaten- und Heldenlieder gesungen und auch solche Motive gemalt."
Obwohl sie sich als Historikerin schon länger mit diesen Themen auseinandersetzt, hat sie erst vor Kurzem angefangen, mit ihrer Familie über die DDR zu sprechen. Und das nicht, weil es ein Tabu war: "Ich habe das große Glück, dass meine Mutter sehr gern erzählt", das liege auch daran, dass Kerstins Familie keine Repressions- oder Verfolgungserfahrungen machen musste.
An Jahrestagen, wie zum Beispiel dem Tag der Deutschen Einheit, würde sie nun hin und wieder diese Gespräche anstoßen: "Ich habe zum Beispiel mit meiner Großmutter über das Jahr 1961 und den Mauerbau gesprochen", inzwischen berichte auch Kerstins Omas sehr bereitwillig und ausführlich von ihrem Leben in der DDR: "Vielleicht, weil sie denkt, dass sie es mir erzählen muss, so lange die Zeit noch da ist."
"Vor zehn, fünfzehn Jahren ist kein Gespräch über die Vergangenheit zustande gekommen, und heute erzählt meine Familie sehr ausführlich, und ich erfahre eine größere Bereitschaft."
Kerstin Lorenz beschäftigt sich aber nicht nur mit ihrer persönlichen DDR-Geschichte, sondern für das Lernportal Zeitenwende auch mit anderen Menschen, die dort geboren sind. Dabei geht es nicht um Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die damals schon erwachsen waren. Die Historikerin spricht mit Leuten, die 1989 noch sehr jung waren: "Kinder, die selbst oder mit ihrer Familie Dinge erlebt haben, die sie aufarbeiten müssen."
Zeitenwende: Berichte aus der dritten Generation Ostdeutschlands
Eine Geschichte, die Kerstin stark in Erinnerung geblieben ist, habe eine Frau erzählt, die bei der Wiedervereinigung ungefähr elf Jahre alt war: "Ihre Eltern haben ihre Arbeit verloren, der Vater ist schwer körperlich und seelisch erkrankt, und schließlich haben sie sich scheiden lassen", das sei nicht nur finanziell, sondern auch emotional eine sehr schwere Zeit für die Familie gewesen: "Das ist eine Geschichte der Überforderung und des Rollentauschs."
In ihrer Arbeit habe Kerstin Lorenz festgestellt, dass viele Leute aus der dritten ostdeutschen Generation ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und trotzdem alle Lebensgeschichten unterschiedlich sind: "Man kann mit diesen Geschichten kein DDR-Bild bestätigen."
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