"Wetter" heißt der ins Deutsche übersetzte und in den USA gefeierte Roman von Jenny Offill. Es ist kein klassischer Roman mit einem Anfang und einem Ende. Es gibt weder den einen Höhepunkt noch die ruhigen Stellen zum Eintauchen und Ankommen in der Geschichte. Wer ihn liest, steht zweihundert Seiten lang unter Strom.
Lizzie Benson arbeitet als Bibliothekarin und trifft bei ihrer Arbeit ziemlich schräge Menschen. Zum Beispiel den älteren Mann, der immer zu ihr an den Service-Tresen kommt und bei jedem seiner Besuche in der Bibliothek dasselbe von ihr wissen will: Was das Passwort für seinen E-Mail-Account ist. Wenn sie ihm erklärt, dass sie das nicht wissen könne, weil es sein Account sei, schüttelt er den Kopf. Nach dem Motto, was denn das für eine Auskunft sei.
"Wohin mit den Kundinnen, die ihre Mahngebühren unbedingt bezahlen wollen, obwohl sie das Geld nicht haben? "
In der Liste der Tipps im Umgang mit Problemkunden taucht seine Spezies nicht auf, jedenfalls nicht so richtig. Problemkunden sind übelriechend oder verstörend, sie summen, lachen, reden oder husten auf unerträgliche Weise, sie leiden unter Waschzwang, Streitsucht oder Einsamkeit.
Und wohin soll Lizzie die mürrischen Professoren stecken? Männer, die glauben, sie wären die Menschen mit der sinnvollsten und härtesten Arbeit auf dem gesamten Planeten. Oder das Mädchen mit den abgekauten Fingernägeln, das die Bibliothek regelmäßig mit einer Handtasche voll Klopapierrollen aus den öffentlichen Toiletten verlässt, in welche Problemkunden-Kategorie gehört das?
Ein Podcast über den Untergang der Welt
Und in welche Kategorie gehört Sylvia, eine frühere Dozentin von Lizzie? Sylvia produziert einen Podcast, der seine Hörer*innen regelrecht durchdrehen und hunderte seltsamer E-Mails schreiben lässt. Der Podcast heißt: "Komme, was wolle" und handelt – grob gesagt – vom Untergang der Welt, vom Schmelzen der Gletscher, von Klimakatastrophen, von Tierleid und anderen Schrecklichkeiten, die die meisten Menschen nicht wahrhaben wollen. Als Sylvia mit dem Beantworten der vielen E-Mails nicht mehr hinterherkommt, bittet sie Lizzie um Unterstützung. Die sagt zu, nichtsahnend.
"Schlimmer als ihr Alltag in der Bibliothek wird es schon nicht sein. Dachte sie."
"Wetter" erzählt von dem Verlust der Kontrolle, sei es über die Flut an schlechten Nachrichten, die verbalen Exzesse in Kommentarspalten, über die Politik, und sogar über die eigenen Gefühle in den Beziehungen, die wir pflegen.
Nichts ist sicher, außer, dass alles irgendwann mal vorbei und zu Ende sein wird. Und obwohl es beste Gründe dafür gäbe, den Kopf tief in den Sand zu stecken, hält uns eins immer wieder aufrecht: der Austausch mit anderen Menschen.
Das Buch
"Wetter" (Originaltitel: "Weather") von Jenny Offill, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Melanie Walz, Piper Verlag, 224 Seiten, gebundene Ausgabe (Hardcover): 20 Euro, E-Book: 16,99 Euro; ET: 01.04.2021.