Ob man will oder nicht: Mutti bleibt Mutti, Vati bleibt Vati. Ingrid will nicht. Wenn ihr jetzt sagt: Boah, Familienscheiße, kennen wir schon aus tausend anderen Büchern… Stimmt. Aber ihr kennt es noch nicht so, wie Julia Wolf es in "Alles ist jetzt" erzählt.
"Gelb: Mietshäuser, Kanarienvögel, Briefkästen. Pisse, Fanta, das Licht im Waschsalon, in dem Ingrid das blutige Bettzeug von Edgar wäscht. Und die Nelken, die ihr Werner gekauft hat, die sind auch gelb."
Einfach nur Gelb ist das Cover von "Alles ist jetzt", dem Romandebüt von Julia Wolf. Die Farbe Gelb taucht darin immer wieder auf. Eigentlich eine schöne Farbe. Sie leuchtet so.
Treffen mit dem Vater
Ingrid ist unfassbar müde und schüttet literweise Kaffee in sich hinein. Sie sitzt mit ihrem Vater, Werner, im Café. So wie jedes Jahr, immer zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn er in die Stadt fährt, um Böller zu kaufen. Dann verabreden sie sich, und er kauft ihr den nächstbesten Strauß Blumen.
Werner erzählt Ingrid von seiner zweiten Frau und deren Sohn, für die er seine erste Frau und deren Kinder verlassen hat. Alle drei Kinder sind natürlich von ihm. Eines der verlassenen Kinder ist Ingrid. Wie immer regt sie sich darüber auf, dass ihr Vater ihr ein riesiges Stück Torte bestellt hat, obwohl sie noch nie Süßes gemocht hat.
Den 50-Euro-Schein nimmt sie trotzdem an von ihrem Vater. Ingrid braucht das Geld, deswegen spielt sie mit. Alles andere haben sie aufgegeben: Familienzusammenführungen, Telefonate ohne Anlass, Postkarten aus dem Urlaub. Das funktioniert mit ihnen nicht.
"Es kommt ihr vor, als ob nichts vor ihr läge, sondern alles nur hinter hier. Ein einziger Haufen Scheiße an Erinnerungen, der an ihr festklebt."
"Alles ist jetzt" von Julia Wolf ist bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen.