Die Leiden eines frustrierten Wächters nach dem Klimawandel: John Lanchester zeichnet in "The Wall" eine dystopische Zukunft für das britische Inselreich nach der großen Welle.
"Die Mauer" – im Original "The Wall" – heißt der neue Roman des britischen Schriftstellers John Lanchester. Und diese Mauer ist zehntausend Kilometer lang. Sie trennt Großbritannien vom Rest der Welt, einmal komplett rum, direkt an der Küste, ohne eine einzige Öffnung. Dafür wurden sogar Flussmündungen trocken gelegt. Joseph, John Lanchesters Protagonist, hat seinen Dienst als Verteidiger auf der Mauer angetreten, so wie alle jungen Briten ihn antreten müssen. Es ist Josephs erste Schicht.
Der Wandel hat den Bau der Mauer notwendig gemacht. So nennt die britische Regierung die katastrophalen klimatischen Zustände auf der Erde. Der Meeresspiegel steigt und überschwemmt nicht nur Strände, sondern ganze Städte und Länder. Manche Regionen auf der Erde sind unbewohnbar geworden. Die Mauer soll zwar vor allem das landfressende Meer zurückhalten – aber auch die Menschen, die in kühleren Regionen Zuflucht suchen.
Joseph kennt sie nur als die Anderen. Sie kommen mit Booten. Sollte es einem von ihnen gelingen, über die Mauer und ins Land zu kommen, würde einer der Verteidiger dafür auf dem Meer ausgesetzt. So ist die Regel: Wenn einer kommt, muss einer gehen.
Mit jedem Tag ist Joseph frustrierter. Was bringen diese Wachschichten? Er starrt auf das Meer und fürchtet den Angriff. Was passiert, wenn plötzlich wirklich Andere angreifen? Er wird getötet oder er überlebt. Und dann? Was kommt nach den zwei Jahren auf der Mauer? Zurück zu seinen von Schuldgefühlen geplagten Eltern will er auf keinen Fall. Sie und ihre Generation tragen die Verantwortung für den Wandel.
Unerwünschte Besucher
Zu bestimmten Zeiten während jeder Schicht dürfen die Verteidiger Pause machen, allein oder zur Halbzeit der Schicht mit ihren unmittelbaren Nachbarn auf der Mauer. In diesen Momenten vergisst Joseph manchmal, dass sie eine Aufgabe haben. Und er genießt diese Momente. Ziemlich leichtsinnig von ihm. Denn der Angriff kommt in genau so einer Pause.
Da ist Joseph ungefähr ein halbes Jahr im Dienst und will gerade einen Schluck Kaffee trinken. Schnell steht seine ganze kleine Welt in Flammen. Schneller, als er jemals angenommen hatte. Und es gibt Tote. Auf beiden Seiten. Und dann passiert das, was er verhindern soll. Andere kommen über die Mauer. Und in diesem Moment ist Joseph klar: Sein Leben wird auf dem Meer enden. Auf der anderen Seite dieser Mauer.
Das Buch:
"Die Mauer" von John Lanchester, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Dorothee Merkel, hat 348 Seiten. Das Hardcover ist bei Klett-Cotta erschienen (24 EUR), die eBook-Ausgabe kostet 18,99 EUR. Das Hörbuch, gelesen von Johannes Klaußner, ist als Download bei Random House Audio erhältlich (20,44 EUR; zur Leseprobe).
Der Autor:
John Lanchester geboren 1962 in Hamburg, wuchs im Fernen Osten auf und arbeitete in England als Lektor bei Penguin Books, ehe er Redakteur der London Review of Books wurde. Daneben war er für Zeitungen und Zeitschriften wie Granta und The New Yorker tätig sowie als Restaurantkritiker für The Observer und Kolumnist für The Daily Telegraph. Er gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern und führenden Intellektuellen Englands.