Vor 100 Jahren, am 19. Januar 1919, durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen. Und das taten sie in großer Zahl. Trotzdem sind die Parteistrukturen bis heute männlich geprägt, sagt die Historikerin Sylvia Schraut.
Bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 hatten alle Frauen in Deutschland erstmals das aktive und passive Wahlrecht - sie konnten wählen und gewählt werden, und das taten sie in großer Zahl: Über 80 Prozent der wahlberechtigten 17 Millionen Frauen gaben ihre Stimme ab, 300 Frauen kandidierten. Trotzdem zogen nur 37 weibliche Abgeordnete ins Parlament ein.
Mit der Verteilung heute im Bundestag sieht es schon besser aus - der Frauenanteil liegt aktuell bei rund 31 Prozent. Viele finden das dennoch nicht ausreichend, so auch Bundeskanzlerin Angela Merkel: Sie vergleicht die 31 Prozent mit den Parlamentarierinnen im Sudan: Die Zahl ist identisch.
"Ist es denn so egal, ob Frauen in Parlamenten sitzen?", fragt die Historikerin Sylvia Schraut immer wieder im Laufe ihres Vortrags zum Frauenwahlrecht. Sie vermisst die typisch weiblichen Fähigkeiten, die auch seit 1919 in der Gesetzgebung viel zu kurz kämen. Kurioserweise scheint das für die Wählerinnen selbst oft völlig irrelevant zu sein.
"Ich glaube, dass heute noch viele Frauen denken: Ich wähle eine Partei. Ob das ein männlicher oder weiblicher Kandidat ist, ist sekundär."
Noch 1957 gab es Spot und Häme gegen weibliche Abgeordnete im Bundestag
Sylvia Schraut spricht in diesem Zusammenhang auch von Sündenfällen der demokratischen Entwicklung. Trotz der ausgerufenen Gleichheit durch die Französische Revolution beschloss die Pariser Nationalversammlung 1793: Frauen sind zu emotional und dem Irrtum unterlegen, deshalb müssen sie auch weiterhin vom Wahlrecht ausgeschlossen bleiben. In der Folge kämpften Frauen in vielen Ländern erst leise und dann etwas lauter für das Recht, an die Urnen zu dürfen.
"Für mich liegt der Anfang allen wahren Fortschritts im Stimmrecht der Frauen. Die Gesetze, bei denen sie interessiert sind, sind gegen sie, weil ohne sie."
Doch noch 1957 – so die Rednerin – habe es im Bonner Bundestag Gelächter, Hohn und Spott der Männer gegeben, wenn weibliche Abgeordnete für gesellschaftspolitische Forderungen eingetreten seien. Die Sündenfälle, sagt Sylvia Schraut, setzten sich bis heute fort. Die Parteistrukturen seien historisch und männlich geprägt, da habe weibliches Denken nur eingeschränkt Platz.
Sylvia Schraut ist Historikerin an der Universität der Bundeswehr in München. Sie hat ihren Vortrag für das Technoseum Mannheim in der Reihe "Frauen 2019 – Was haben 100 Jahre Frauenwahlrecht und 70 Jahre verfassungsmäßig garantierte Wahlberechtigung erreicht?" am 10. Oktober 2018 gehalten.
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