Ooops: Scham und Fremdscham lassen sich eigentlich nicht voneinander trennen, erklärt der Soziologe Patrick Wöhrle. Psychotherapeutin Angelika Vandamme weiß, wie das Schamgefühl auf den Körper wirkt und welchen Nutzen es überhaupt hat.
Spinat zwischen den Zähnen, Zahnpasta im Gesicht und Bier zur Begrüßung in den Nacken: Es gibt sie, diese peinlichen Momente. Die Scham, die wir dabei empfinden, ist real. Dabei ist es egal, ob andere diese Situation und die Scham verursachen oder wir selbst.
Der Ausdruck Fremdscham und das Fremdschämen sind deswegen eigentlich Fehlbegriffe, erklärt der Soziologe Patrick Wöhrle. Er lehrt an der Technischen Universität Dresden. Scham ist eine so persönliche und individuelle Emotion: Wir können Scham nicht für Andere empfinden.
Die Rede vom Fremdschämen wirkt also eher wie der vergebliche Versuch, sich nachträglich von einer peinlichen Situation zu distanzieren.
Scham als Normalitätsfrage
Beim Vergleich verschiedener Gesellschaften und Kulturen zeigt sich, so Patrick Wöhrle, dass es grundsätzlich keinen Teilbereich von Verhalten oder Erscheinung gibt, der nicht in irgendeiner Weise mit Scham belegt werden kann. Sie ist ein Gefühl, das bei Abweichungen von Normen und gefühlter Normalität auftritt.
"Es gibt ziemlich klassische Untersuchungen, in denen es darum geht, dass beispielsweise körperliche Nacktheit in bestimmten Kulturen keine mögliche Schamquelle ist. Scham wird nicht an der körperlichen Nacktheit festgemacht, sondern an andersartigen Verhaltensweisen oder Erscheinungsweisen", sagt Patrick Wöhrle.
Für den Soziologen ist die Popularität des Ausdrucks Fremdschämen auch ein Effekt des Medienkonsums: In den sogenannten sozialen Medien konfrontieren sich viele Menschen mit zahllosen sozialen Abweichungen – durch kurze Videos. Der Fehlbegriff Fremdscham sei eine Folge dieser massenweisen Aufzeichnungen peinlicher Situationen und davon, dass eben viele Menschen global daran immer wieder teilhaben.
Selbstwert- und Schamgefühl
Wie stark Scham empfunden wird, hängt für die psychologische Psychotherapeutin Angelika Vandamme auch mit dem Selbstwertgefühl zusammen. Menschen mit einem weniger gut ausgeprägten Selbstwertgefühl empfinden Scham tendenziell häufiger, sagt sie. Ähnliches gilt für Menschen, die empathischer sind als andere.
"Menschen, die ein niedrigeres Selbstwertgefühl haben, tendieren dazu, auch mehr Scham zu empfinden."
Angelika Vandamme unterscheidet zwischen vier Arten von Scham:
- Scham vor Versagen oder Misserfolg
- Scham vor sozialen oder körperlichen Abweichungen
- Scham vor grenzverletzendem Verhalten
- Scham vor Lob und Aufmerksamkeit
In bestimmten therapeutischen Zusammenhängen bringt Angelika Vandamme Klient*innen dazu, bewusst etwas Peinliches zu machen. Sie nennt das Shame-attack-Übungen. Sie gehen dann beispielsweise gemeinsam in den Supermarkt, ihr*e Patient*in soll dann etwas fallen lassen.
"Für Menschen, die sehr schnell Scham empfinden oder vielleicht niedrigen Selbstwert haben, ist es wirklich schlimm."
Ihrer Erfahrung nach schert sich die soziale Umgebung recht wenig um Dinge, die für ihre Patient*innen schamvoll sind. Unsere soziale Umwelt ist eher unaufmerksam und sehr vergesslich. So hat sie es beobachtet: "Die meisten Sachen sind nach einer Minute wirklich wieder vergessen. Die Leute machen sich wirklich sehr wenig Gedanken um uns."
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