Anfang 2018: In Cottbus kommt es zu Zusammenstößen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Die Lage eskaliert. In der Folge gehen regelmäßig Tausende auf die Straße, um ihrer Wut gegen die Regierung und die Flüchtlingspolitik Ausdruck zu verleihen.
Die Demonstrationen werden vom Bürgerbündnis "Zukunft Heimat" organisiert, das asylfeindlich ist. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes steht es in engem Kontakt zu Rechtsextremen.
Langzeitreportage untersucht Eskalation in Cottbus
Die Journalistinnen Stefanie Groth und Diana Kulozik wollten genauer verstehen, was in Cottbus passiert und warum gerade dort die Situation so eskaliert ist. Für die Langzeitreportage "Wer ist das Volk? - Cottbus in Aufruhr" begleiteten sie deshalb ein halbes Jahr lang fünf Cottbuser, fünf Menschen mit ganz unterschiedlichen Haltungen zum Thema Flüchtlingspolitik.
"Da war alles mit dabei. Von: 'Grenzen dicht, alle abschieben' bis zu: 'Wir können die ja nicht einfach alle einpacken und wieder wegschicken. Wir müssen eine Lösung finden.'"
Viele Cottbuser haben sich engagiert, sagt die Journalistin Stefanie Groth, zum Beispiel durch Sprachpartnerschaften, Lesezirkel und gemeinsames Kochen. Einer der Protagonisten, ein Architekt, hat einen Syrer bei sich aufgenommen. Auf der anderen Seite haben die Journalistinnen aber auch viele Cottbuser getroffen, die nichts mit Flüchtlingen zu tun haben wollen.
"Diese grundlegende, sehr skeptische Haltung gegenüber Geflüchteten ist uns nicht nur auf den Demonstrationen vom asylfeindlichen Bürgerbündnis 'Zukunft Heimat' entgegen geschlagen."
Stefanie Groth berichtet von Gesprächen, in denen die Geflüchteten als Deserteure und Vaterlandsverräter bezeichnet werden. An diesen entgegengesetzten Polen zeige sich ganz gut, welche Positionen sie als Journalistinnen in Cottbus vorgefunden haben.
"Am besten hat es der Polizist, den wir begleitet haben, auf den Punkt gebracht: Dafür oder dagegen. Es gibt kein richtiges Dazwischen."
Die Frage, die Stefanie Groth und Diana Kulozik währenddessen besonders beschäftigt hat: Was denkt eigentlich die schweigende Mehrheit in Cottbus? Eine Frage, die bis zum Ende irgendwie offen bleibt, bedauert die Filmemacherin.
Der Friede ist nur oberflächlich
Auch während der Dreharbeiten zur Reportage gab es weitere Vorfälle in Cottbus. So hat ein junger Syrer einen deutschen Jugendlichen mit einem Messer verletzt. Es gab sehr gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und Tschetschenen in einer Unterkunft für Geflüchtete.
"Das sind Vorfälle, die tragen Unruhe in eine Stadt. Das löst wieder Ängste aus, dass man das nicht im Griff hat, dass man überrannt wird vielleicht auch."
Die Vorfälle seien nicht von der Hand zu weisen, sagt Stefanie Groth. Und davon profitiere das asylfeindliche Bündnis "Zukunft Heimat". Denn dort fühlten sich die Bürger gehört mit ihren Ängsten, von der Politik eben nicht, so die Analyse der Journalistin.
Die Politik habe aber inzwischen auch reagiert. So wurde für mehr Polizeipräsenz gesorgt, zumindest in der Innenstadt, sagt Stefanie Groth. Außerdem werden keine weiteren Flüchtlinge aus der Erstaufnahme des Landes nach Cottbus verteilt.
"Das hat zu einer gewissen Befriedung geführt. Das subjektive Sicherheitsgefühl ist wieder gewachsen bei den Bürgern."
Trotzdem stellt sich die Journalistin die Frage, was unter dieser Oberfläche passiert. Denn es gibt auch weiterhin Vorfälle und es bleibt der Eindruck, dass die Ruhe in Cottbus nicht sonderlich stabil ist. Denn eine nachhaltige Befriedung der Gesellschaft habe noch nicht stattgefunden. Die Fragen nach einer guten Integration, nach dem Umgang mit straffällig gewordenen Flüchtlingen, woher zum Beispiel die ganzen Sozialarbeiter kommen, die für die Betreuung von Geflüchteten benötigt werden, oder was mit Kita- und Schulplätzen ist – all diese Fragen seien nach wie vor nicht geklärt.
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