Bis zum 20. April sind wir hier in Deutschland vorerst im Ausnahmezustand. Das stellen Politiker immer wieder klar. Aber was kommt danach?
Beim Durchspielen von Exitszenarien steht laut Regierungssprecher Steffen Seibert immer eine Frage im Vordergrund: "Entwickelt sich die Zahl der Infizierten so, dass unser Gesundheitssystem noch vor der Überlastung geschützt werden kann?" Solange das nicht der Fall ist, sind Ausstiegsszenarien vorerst keine Option für die Politik. Wir werfen trotzdem einen Blick in die Zukunft.
1. Keine Neuinfektionen mehr
In Hubei tauchte das Virus im Dezember 2019 zum ersten Mal auf. Also vor knapp vier Monaten. Wenn die offiziellen Zahlen stimmen, gibt es seit fast einer Woche keine Neuinfizierungen mehr im Inland. Der Lockdown ist aufgehoben, Menschen arbeiten und reisen wieder.
Null Neuinfektionen in Deutschland ist jedoch sehr unrealistisch. Denn das würden noch viel radikalere Maßnahmen der Kontaktsperre bedeuten als sie aktuell in Kraft sind.
"Bei uns ist es zurzeit unrealistisch, schnell wieder auf null Neuinfektionen zu kommen."
Das hat auch Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Audiobotschaft am Wochenende bekannt gegeben. Für sie zählt: Die Neuinfektionen müssen zumindest weniger werden.
Davon abgesehen kann sich in China jederzeit das Coronavirus erneut ausbreiten - zum Beispiel, wenn es aus dem Ausland ins Inland gebracht wird.
2. Ungebremste Ausbreitung
Es ist eine denkbare Option: Es gibt keinerlei Kontaktbeschränkung, Schulen und Geschäfte sind geöffnet: das Virus verbreitet sich ungebremst.
Dann müssten die Krankenhäuser schon im Mai 80 Prozent der Schwererkankten abweisen, weil die Intensivstationen voll sind. Hunderttausende Tote wären die Folge.
Dieser Fall, der aus einem internen Strategiepapier des Bundesinnenministeriums stammt, kommt zurzeit nicht infrage, denn wir tun ja bereits etwas gegen die ungebremste Verbreitung.
3. Hammer and Dance
Laut den Daten von Kreis- und Landesbehörden und der Johns-Hopkins-Universität liegen wir derzeit bei einer Verdopplungsrate von sieben Tagen in Deutschland (Stand: 31. März). Bedeutet: In sieben Tagen gibt es doppelt so viele Infektionsfälle wie heute. Kanzleramtsminister Helge Braun spricht davon, dass eine Verdopplungsrate von zehn bis zwölf Tagen das nächste Ziel sei.
Erst einschränken, dann tanzen
Und hier könnte das Szenario "Hammer and Dance" greifen. Zur Zeit sind wir in der "Hammer"-Phase: Darunter fallen die drastischen Einschränkungen, das soziale Distanzieren, die Ladenschließungen.
Die "Dance"-Phase könnte dann im besten Fall zum Ende der Osterferien eintreten. Dann dürften zuerst die Jüngeren wieder raus zum "Tanzen", Kindergärten und Schulen würden (teilweise) wieder geöffnet werden. Parallel würden Infizierte weiter isoliert bleiben und die Bevölkerung intensiv getestet werden.
Test-Kapazitäten müssen aufgestockt werden
Das Herzstück der Strategie des Innenministeriums lautet: Mehr testen. Vor allem müssen die Menschen getestet werden, die sich im Umkreis von Infizierten aufhielten und auch diejenigen, die denken, sie könnten sich infiziert haben. Allerdings hat diese Methode ihre Grenzen.
Der Virologe Christian Drosten von der Charité Berlin geht davon aus, dass die Testkapazitäten um 30 bis 40 Prozent gesteigert werden können. Dazu müssen aber nicht nur Labor- und Personalressourcen verfügbar sein - die Industrie muss auch die Materialien liefern können, die für die Tests gebraucht werden. Es wird in Deutschland nicht möglich sein, großflächig einfach so drauf los zu testen.
Christian Drosten geht zurzeit davon aus, dass Deutschland eines der Länder weltweit ist, die am meisten testen. Das würde auch die vergleichsweise niedrige Sterberate erklären - weil Deutschland viel mehr milde Fälle entdeckt als andere Länder.
4. Smart Distancing
Der Virologe Alexander Kekulé von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg schlägt das Prinzip des "Smart Distancing" vor, das "Hammer and Dance" ähnelt. Hierbei sollen die Risikogruppen weiter intensiv geschützt werden und zuhause bleiben, die Kinder könnten aber möglicherweise wieder zur Schule gehen. Für den Rest gilt: Die Vorsichtsmaßnahmen können zwar langsam runtergefahren werden, Abstandhalten wäre aber immer noch elementar.
5. Beschleunigen und Bremsen
Gesundheitsminister Jens Spahn hat noch ein weiteres Szenario in die Diskussion gebracht: Ausgangsbeschränkungen à la Intervallfasten. Beschränkungen werden also eingeführt, dann wieder gelockert, dann wieder verschärft und so weiter. Je nachdem, wie sich das Virus weiter ausbreiten wird. Das könnte jedoch schnell zu einem Informationschaos führen.
6. Durchinfektion der jungen Bevölkerung
Eine kontrollierte Durchinfektion der jungen Leute, was ja auch bei den sogenannten und vor allem verbotenen Corona-Partys das Ziel war, ist für Virologe Christian Drosten ein absolutes No-Go. Denn es gebe in jeder Altersgruppe Risikopatienten. Einige junge Menschen würden bei voller Gesundheit plötzlich auf der Intensivstation landen. Das könne man nicht riskieren.
"Es gibt immer wieder Patienten, die aus vollkommener Gesundheit heraus auf der Intensivstation landen, schwer krank sind. Es gibt sogar Todesfälle."
Fazit
Exitstrategien gibt es also einige, manche sind realistisch und sinnvoll, andere überhaupt nicht. Doch wie lange werden die Strategien noch in Kraft treten müssen? Wann wird das Virus wieder weg sein?
Virologe Christian Drosten schätzt im NDR-Corona-Podcast, dass das Virus nie so ganz weggehen werde, da es sich so einfach verbreite. Er rechnet damit, dass sich vor Ende der pandemischen Verbreitung 60 oder 70 Prozent der Deutschen angesteckt haben und sich der Rest noch nachinfizieren werde.
Ein Jahr und neun Monate
Zeitlich bedeutet das nach Virolge Alexander Kekulé folgendes:
- Wenn sich 70 Prozent der Deutschen infizieren, landen 20 Prozent davon im Krankenhaus.
- Jeder Vierte von ihnen bräuchte einen Platz auf der Intensivstation.
- Wir brauchen also Intensivbetten für knapp drei Millionen Menschen.
- Wird jeder dieser Patienten zehn Tage auf der Intensivstation bleiben,
- sind das 30 Millionen Tage.
Selbst wenn wir die Bettenzahl verdoppeln würden und ein Großteil davon nur den Corona-Patienten vorbehalten sein würde, kommen wir trotzdem auf ein Jahr und neun Monate. Es dauert also noch.
Game Changer: Medikamente und Impfung
Sollten jedoch Medikamente gefunden werden, die schlimme Erkrankungsverläufe verhindern oder zumindest verkürzen, könnte die Rechnung anders aussehen. Im besten Fall könnten schon innerhalb der kommenden Wochen die ersten Medikamente bereit sein. Studien mit zugelassenen Wirkstoffen laufen jedenfalls schon.
Impfung frühestens in einem Jahr
Alexander Kekulé rechnet damit, dass eine ausreichend getestete Impfung erst in einem Jahr bereit sein wird. Dann aber wäre vieles gewonnen, denn wer geimpft ist, kann sich selbst und andere nicht mehr infizieren.
Bis dahin gilt: Wir müssen die Neuinfektionen so gut wie möglich herunterfahren, um Zeit zu gewinnen, damit sich Krankenhäuser besser ausrüsten können, Medikamente gefunden werden und schnellere Tests entwickelt werden.