In einigen Kliniken sollen angeblich 90 Prozent der Menschen mit schweren Covid-19-Verläufen einen Migrationshintergrund haben. So zumindest die Behauptung einer großen Zeitung. Doch Statistiken gibt es dazu keine. Andere Faktoren sind wohl sehr viel eher entscheidend.
Hat jemand einen Migrationshintergrund, dann steigt auch das Risiko sich mit Corona zu infizieren und einen schweren Verlauf zu erleiden – das behaupten einige Medien. Doch das sind eher Anekdoten als Fakten. NDR und SZ sind der Behauptung nachgegangen. Ihr Ergebnis: Zahlen, die das belegen könnten, gibt es nicht.
"In Deutschland wird sehr wenig über die soziale Ungleichheit im Gesundheitswesen und Erkrankungsrisiken erforscht - ganz im Gegenteil zu etwa den USA oder Großbritannien."
Im Zuge der Recherchen wurde klar, dass 14 von 16 Bundesländern überhaupt keine Informationen über die persönlichen Daten von Covid-19 Patienten sammeln. Und das Robert Koch-Institut sammelt lediglich Daten über Alter und Geschlecht.
In anderen Ländern gibt es sehr viel mehr Informationen darüber, welche Menschen ein höheres Risiko haben sich anzustecken, so etwa in den USA oder Großbritannien.
Kaum Statistiken außer in Berlin
Markus Grill, Investigativ-Journalist und an der Recherche beteiligt, sagt: Die Fragen über den sozialen Background der Corona-Patienten konnten nur Bremen und Berlin in geringem Maße beantworten. Selbst die befragten Uni-Kliniken in Deutschland führen keine Statistiken darüber.
Lediglich Berlin hat den Zusammenhang von Migrationshintergrund und Covid-19 untersucht. Dazu wurde in den jeweiligen Stadtteilen verglichen, inwiefern ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit einer höheren Infektionsrate korreliert. Und tatsächlich: In den Stadtteilen, in denen der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund über 50 Prozent liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, dreimal so hoch wie in anderen Stadtteilen.
"Allerdings gibt es immer einen klaren Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Infektionsrisiko."
Das führt der Journalist aber weniger auf den Migrationshintergrund zurück als vielmehr auf Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Eine hohe Arbeitslosigkeit und eine hohe Wohndichte führen generell zu einem höheren Infektionsrisiko. Auch die Wohnverhältnisse spielen eine Rolle: Je enger und je weniger Quadratmeter, desto höher die Ansteckungsgefahr.
Oft in Berufen mit hohem Risiko
Welchen Anteil daran der Migrationshintergrund hat, ist in Deutschland nicht erforscht. Auffällig sei nur, dass Menschen mit Migrationshintergrund sehr viel häufiger in Berufen arbeiten, die ein höheres Infektionsrisiko bergen, etwa in der Pflege, bei der Post oder in Reinigungsberufen. Alle Berufe, in denen Homeoffice nicht möglich und der Kontakt zu Menschen näher ist.
"In Bevölkerungsgruppen, in denen das Infektionsrisiko höher ist, sollte deutlich mehr getestet werden."
Enge Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit oder unvermeidbarer Kontakt im Beruf - das sind Dinge, an denen lässt sich schwer etwas ändern, sagt der Journalist. Eine Konsequenz lasse sich trotzdem ziehen: Bevölkerungsgruppen, in denen die Ansteckungsgefahr aufgrund dieser Faktoren höher ist, sollten gezielter getestet werden.
Denn Testen würde auch asymptomatische Verläufe als Covid-19 identifizieren. Nur so würden sich Infektionsketten durchbrechen lassen. Markus Grill meint: In diesem Punkt kann das Wissen, welche Personen einem höheren Risiko ausgeliefert sind, einen großen Nutzen haben.
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