Kontaktregeln, Ausgehverbote, Reiseeinschränkungen – die Pandemie fordert uns allen ganz schön viel ab. Besonders jüngere Menschen leiden psychisch unter den Maßnahmen, zeigen Studien. Und die Art, wie unsere Städte gebaut sind, befördert die negativen Effekte. Zwei Vorträge über die Folgen von Lockdown und Co. – und über Möglichkeiten, sie abzumildern.
Wir leben jetzt schon über ein Jahr mit der Corona-Pandemie und den Maßnahmen dagegen. Viele sind es einfach leid, andere macht es regelrecht krank und wieder andere haben massive finanzielle Sorgen oder finden keine Wohnung. Was machen die Pandemie-Maßnahmen langfristig mit uns und unserer Gesellschaft? Das beobachten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Distanz verstärkt psychische Beeinträchtigungen
Tania Lincoln, die in Hamburg Klinische Psychologie und Psychotherapie lehrt, beobachtet, was vor allem der Lockdown mit unserer Psyche macht. Viele Studien, so erklärt die Professorin in ihrem Vortrag, zeigen, dass soziale Isolierung oder auch sozialer Ausschluss psychische Belastung verursachen kann.
Mögliche Folgen: Schlaf- und Konzentrationsprobleme, Ängste, Stresssymptome, Alkoholmissbrauch, Depression – unter anderem. Jüngere Menschen, Frauen, psychisch Vorbelastete und arme Menschen sind ihr zufolge eher betroffen.
"Sehr übereinstimmend findet man, dass jüngere Menschen stärker psychisch belastet sind durch diese Quarantäne-Maßnahmen."
Die gute Nachricht: Entsprechende Folgen können sich einstellen – müssen aber nicht. Denn es gibt auch Faktoren und Maßnahmen, die davor schützen können, zeigen ihre Beobachtungen. Welche, das erläutert Tania Lincoln im Hörsaal.
Pandemie als "Totengräber der neuen Urbanität"
Einsamkeit ist ein großes Problem, so die Psychologin. Und wie stark wir von ihr betroffen sind, hängt auch von unserer Wohnsituation ab. Städteplanerinnen und Städteplaner analysieren daher derzeit aufmerksam, welche Strukturen sich in der Pandemie bewähren - und welche nicht.
"Die Zukunftsstadt muss an Pandemien angepasst sein und eine hohe Lebensqualität bieten."
Jürgen Oßenbrügge, Professor für Wirtschaftsgeographie in Hamburg, erläutert in seinem Vortrag, wie moderner Städtebau im Konflikt mit den Pandemie-Maßnahmen stehen kann. Beispiel "Micro-Living": Gewohnt wird auf wenig Fläche, Sozialleben, Arbeit und Hobbies werden in einen gemeinschaftlich genutzten öffentlichen Raum verlagert, die Verödung der Städte und der Wohnraummangel sollen so abgemildert – die Stadt sozialer werden.
Singlehaushalte im Lockdown: Einsamkeits-Risiko
Schöne Idee, wenn sie denn funktioniert. Nur leider ist sie eben nicht sonderlich pandemietauglich. Städte als Ansammlungen von Singlehaushalten werden im Lockdown, überspitzt ausgedrückt, zu Ansammlungen von Einzelzellen. Die Tatsache, dass künftig leider häufiger pandemische Ereignisse zu erwarten sind, wird also auch Städtebau und Wohnraumdesign ändern – ändern müssen. Im Vortrag gibt Jürgen Oßenbrügge auch Beispiele für pandemiekompatiblere Konzepte.
Beide Vorträge wurden im Rahmen des Symposiums "Infektionen und Gesellschaft" gehalten, das die Akademie der Wissenschaften Hamburg am 30. Oktober 2020 veranstaltet hat. Zahlreiche Forschende aus verschiedenen Disziplinen nahmen dabei mögliche Folgen der Pandemie für die Gesellschaft aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven unter die Lupe und diskutierten den künftigen Umgang mit Pandemien. Tania Lincolns Vortrag trägt den Titel "Psychische Folgen von Pandemiemaßnahmen", Jürgen Oßenbrügges Beitrag heißt "Auswirkungen auf Stadtplanung".
Hörtipp: Im Hörsaal liefen noch zwei weitere Vorträge des Symposiums – der Staatsrechtler Horst Dreier spricht über die verfassungsrechtlichen Grenzen des Infektionsschutzes und der Virologe Thomas Mettenleiter über das One-Health-Konzept als Mittel zur Vorbeugung kommender Pandemien.