Ein Outing kann Menschen viel Mut und Kraft abverlangen. Freundinnen und Freunde sollten ihnen vor allem mit Empathie und Unterstützung begegnen. Es geht darum, sie in ihrem Coming-out wahrzunehmen, statt den Prozess zu hinterfragen oder mit einer vermeintlich toleranten Lässigkeit abzutun.
Als Judith noch zur Schule ging, hat sich sie als lesbisch geoutet: erst vor ihrer Schwester und dann vor ihren Freundinnen.
Judith erinnert sich, wie emotional ihr Coming-out damals für sie war. Als sie sich bereit gefühlt hat, mit ihren Freundinnen zu teilen, dass sie lesbisch ist, kamen erst die Tränen und dann die große Erleichterung, erzählt sie. Endlich konnte sie zeigen, wer sie ist.
"Es war einerseits das Gefühl von: Ich hab etwas losgetreten, was sich nicht mehr aufhalten lässt. Gleichzeitig war es auch das Gefühl: Jetzt ist es raus und ich kann ganz offiziell ich sein."
Als sie sich danach auch vor anderen geoutet hat, war das anfangs noch eine Überwindung für sie. Die Reaktion ihrer Freundinnen hat ihr aber geholfen, sagt Judith. Sie waren emphatisch, haben erkannt, was das Coming-out für sie bedeutet und waren für sie da. Sie waren richtig gute Allys – also Menschen, die selbst nicht zur LGBTQI*-Community gehören, sich durch ihr verständnisvolles Verhalten aber zu ihren Verbündeten machen; zu ihren Fürsprechern.
Da sein und die Person wahrnehmen
Empathie und Unterstützung von Freunden helfen Menschen bei ihrem Coming-out. In dieser Situation sollten sie und ihre Gefühle im Mittelpunkt stehen, sagt Rabea Maas vom queeren Kölner Jugendzentrum "Anyway". Gerade wenn die Familie der geouteten Person ihre Homo- oder Bisexualität ablehnt, sollten Freunde und Freundinnen ihr zeigen, dass sie sie so akzeptieren, wie sie ist.
"Ich halte es für ideal, auch die Stimmung der Person aufzunehmen, die das Coming-out gerade vollzieht: Ist da eine Aufregung oder eine Angst?"
Stehen Menschen einer Person nahe, die sich gerade outet, ist es auch wichtig, dafür sensibilisiert zu sein, in welcher Phase der Mensch im Coming-out-Prozess ist, sagt Psychotherapeut Ralph Kohn. Lebt die Person schon in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung oder ist ihr gerade erst klar geworden, dass sie homo- oder bisexuell ist? Das sollten Freundinnen und Freunde im Hinterkopf behalten, wenn sich jemand vor ihnen outet.
Pseudotoleranz braucht niemand
Ralph Kohn warnt auch vor pseudotoleranten Reaktionen auf ein Outing: "Um besonders tolerant zu wirken, wird einem Outing gar keine große Bedeutung mehr beigemessen. Es wurde mitgeteilt und das macht keinen großen Unterschied, weil es keinen Unterschied machen darf oder soll." Das sei zwar nicht negativ, aber würde die Person in ihrem Coming-out auch nicht unterstützen.
Vielmehr ignoriert es die Situation, in der homo- und bisexuelle Menschen sind. In einer Gesellschaft, in der Heterosexualität als Standard angesehen wird, brauchen sich heterosexuelle Menschen nicht zu outen: Ihre sexuelle Identität wird als selbstverständlich betrachtet. Für homo- und bisexuelle Menschen ist ein Outing hingegen eine Notwendigkeit, um gesehen zu werden, erklärt der Psychotherapeut. Es braucht Mut und Willenskraft, immer wieder diesen Schritt zu gehen – und das sollten gerade Freundinnen und Freunde anerkennen.
"Sobald die Heteronorm nicht auf eine Person zutrifft, gibt es eine Notwendigkeit, sich mitzuteilen, wenn man irgendwie gesehen oder angemessen berücksichtigt werden will."
Auch hier kommt es auf Ausgeglichenheit an. Von extremen Reaktionen auf ein Outing rät Rabea Maas ab: "Abfeiern ist so eine Überreaktion. Das andere Extrem wäre totale Ablehnung." Ähnlich unangemessen findet Judith auch Personen, die die sich outende Person fragen, ob sie sicher sei.
Reagieren Freundinnen und Freunde hingegen mit Empathie, Akzeptanz und Sensibilität, sprechen sie im Anschluss vielleicht auch darüber, was die Person sich nach ihrem Coming-out an Unterstützung wünscht.