Heute startet der Film "Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück" in den deutschen Kinos. In den Hauptrollen: Daniel Brühl und Emma Watson. Die Sekte, um die es geht, ist keine Fiktion. Für die Verbrechen, die dort begangen wurden, sind bis heute nicht alle Täter zur Verantwortung gezogen worden.
Der Film
Vier Jahre lang hat Regisseur und Drehbuchautor Florian Gallenberger für diesen Film recherchiert. Und auch der Hauptdarsteller Daniel Brühl hat einen persönlichen Bezug zur Geschichte über die Colonia Dignidad: Seine Eltern haben zur Zeit der Militärdiktatur chilenische Flüchtlinge in ihrem Haus aufgenommen. Der Name Colonia Dignidad steht für "Kolonie der Würde". Ein grausamer Euphemismus. Denn unter Leitung der Gründer Paul Schäfer und Hugo Baar wurde gefoltert, gemordet und missbraucht.
Colonia Dignidad: Waffenschmuggel, Vergewaltigung, Folter
Ende der 1950er Jahre haben Paul Schäfer und Hugo Baar in Siegburg die "Private Social Mission" ins Leben gerufen, ein Erziehungsheim für Kinder von Gruppenmitgliedern. Nachdem gegen die Gruppe wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch ermittelt wurde, floh sie nach Chile. 1961 wurde dort die "Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad" gegründet, die "Gesellschaft für Wohltätigkeit und Erziehungsanstalt der Würde".
Die Mitglieder bauten in Chile eine von der Außenwelt abgeschottete Siedlung auf und lebten autark. Colonia Dignidad bezeichnete im Prinzip die Siedlungskolonie. Die Führung der Colonia Dignidad, die Gründer Paul Schäfer und Hugo Baar, hattten Kontakt zur rechtsextremen chilenischen Patria y Libertad und unterstützten indirekt den Putsch des chilenischen Militärs, der Diktator Augusto Pinochet an die Macht bringt. Colonia Dignidad half dabei, Waffen aus Deutschland nach Chile zu schmuggeln.
Nach Aussagen von ehemaligen Mitgliedern der Colonia Dignidad wurden auf dem 33.000 Hektar großen Areal auch Strafgefangene des chilenischen Regimes untergebracht. Sie wurden als Zwangsarbeiter eingesetzt, gefoltert und ermordet. Ähnlich ging es den Mitgliedern der Kolonie: Folter und sexueller Missbrauch waren an der Tagesordnung.
Kindesmissbrauch und medizinische Experimente
Vor allem Kinder wurden in der Sekte massiv missbraucht und mit Psychopharmaka vollgestopft. Eine der ehemaligen Angehörigen der Sekte ist Gudrun Müller. 37 Jahre haben sie und ihr Mann bei der Sekte gelebt. Einfach abhauen und die Sekte verlassen, das ging nicht, erzählt sie. Als sie die Sekte verlassen wollten, wurde ihnen gesagt, sie könnten gehen, wohin sie wollten. Dann aber sind sie massiv misshandelt worden:
Die Colonia Dignidad besteht auch nach dem Ende der Pinochet-Diktatur im März 1990 weiter. Aufgrund der großen Fläche des Areals und des verzweigten, kriminellen Netzwerks gelingt es der chilenischen Gerichtsbarkeit kaum, Zugriff auf die Sektenführer zu bekommen. 1996 taucht Paul Schäfer unter. 2004 verurteilt ihn ein Gericht wegen des sexuellen Missbrauchs an 27 Kindern. Im April 2010 stirbt er mit 88 Jahren in einem Gefängnishospital in Santiago de Chile.
Zu den Tätern gehört auch der Deutsche Hartmut Hopp. Er bekam in Chile die Möglichkeit Medizin zu studieren, war Lagerarzt bei der Colonia Dignidad und galt als die rechte Hand des Sektengründers Paul Schäfer. Er soll in engem Kontakt zu Diktator Augusto Pinochet und dem chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras gestanden haben.
Rechtskräftiges Urteil gegen Hartmut Hopp
In Chile sind gegen Hartmut Hopp seit 2011 mehrere Verfahren anhängig, weshalb er im Mai 2011 nach Deutschland floh. Unter anderem laufen gegen ihn Verfahren wegen Mordes an politischen Gefangenen und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Außerdem wurde er am 25. Januar 2013 in Abwesenheit vom Obersten Gerichtshof in Chile wegen Beihilfe zu systematischem sexuellem Missbrauch von Kindern zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Obwohl das Urteil rechtskräftig ist, kann Hartmut Hopp in Deutschland unbehelligt leben. Der von Chile gestellte Auslieferungsantrag wurde abgelehnt. Es gibt aber die Möglichkeit, das Urteil in Deutschland zu vollstrecken. Der Fall Hartmut Hopp liegt seit 2011 bei der Staatsanwaltschaft in Krefeld. Doch bevor ein im Ausland gefälltes Urteil in Deutschland vollstreckt werden kann, muss es ein mehrstufiges Prüfverfahren durchlaufen, erklärt Oberstaatsanwalt Axel Stahl.
"Es können natürlich nur solche Urteile vollstreckt werden, für die die Gewissheit besteht, dass sie nicht unter Verletzung von rechts- und menschenrechtsverletzenden Mindeststandards zustande gekommen sind."
Ermittlungen gegen Hopp auch in Deutschland
Obwohl es nicht ganz einfach ist, in Deutschland Verfahren einzuleiten für Verbrechen, die im Ausland begangen wurden, prüft die Staatsanwaltschaft in Krefeld parallel, ob sie wegen folgender drei Vorwürfe auch hier in Deutschland Anklage gegen Hartmut Hopp erheben kann, sagt Oberstaatsanwalt Axel Stahl:
- Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern
- Beteiligung am Verschwinden und mutmaßliche Tötung von drei Gewerkschaftern in den 70er Jahren
- mutmaßliche Körperverletzung durch Verabreichung nicht indizierter Psychopharmaka
Die Ermittlungen werden aufgrund der in Deutschland verfügbaren Beweismittel durchgeführt, sagt der Oberstaatsanwalt. Das seien im Wesentlichen Aussagen von ehemaligen Angehörigen der Sekte. Dabei hätten sich Fragen gestellt, die nur die chilenischen Behörden beantworten könnten. Also hat die Staatsanwaltschaft Krefeld ein Rechtshilfegesuch an die chilenischen Behörden gestellt.
"Das ist auch der Stand der Ermittlungen: Wir warten auf Antwort der chilenischen Behörden."
Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, gilt in Deutschland die Unschuldsvermutung - und Hartmut Hopp bleibt auf freiem Fuß. Oberstaatsanwalt Axel Stahl ist aber zuversichtlich, dass es bis Ende des Jahres zumindest eine erstinstanzliche Entscheidung gibt, ob das bereits in Chile gefällte Urteil in Deutschland vollstreckt werden kann.
Hintergrund-Informationen zur Colonia Dignidad:
- Colonia Dignidad: Die Folter endet nie | Süddeutsche.de vom 10.02.2016
- Menschenknochen bei Colonia Dignidad entdeckt | Zeit online vom 26.02.2014
- Colonia Dignidad in Krefeld | taz.de vom 24.03.2013
- "Ich hatte zu niemandem mehr Vertrauen" | Gudrun Müller erzählt bei WDR5 über ihr Leben in der Colonia Dignidad
- Colonia Dignidad: Ein Ende der unendlichen Geschichte? | Aus dem AI-Journal von Amnesty International, Jahrgang 1997